Mögt ihr euch daran erinnern, wie ich in le Havre über Schönheit sinnierte? Architekt und Städteplaner Auguste Perret hinterliess auch am zweiten Stopp meiner nordfranzösischen Städtetour ein eindrucksvolles Zeugnis seines Wirkens. Der Tour Perret – zur Zeit seines Entstehens mit 104 m der höchste Turm Frankreichs – begrüsst mich am Bahnhof Amiens. Das «Empire State Building der Picardie» (so nannte es Schriftstellerin Isabell Marsay) beherbergt Wohnungen und Büroräumlichkeiten und lässt sich leider nur von aussen bestaunen (die Sicht über die Stadt von der obersten Wohnung muss fantastisch sein). Mit diesem markanten Wolkenkratzer wäre die Präsenz von Auguste Perret im Stadtbild von Amiens abgehandelt. Die Hauptstadt der Picardie ist flächenmässig vergleichbar mit Lyon, versprüht im Zentrum dennoch Kleinstadtcharme. Auch wenn der Begriff «Geheimtipp» inflationär verwendet wird, für Amiens finde ich ihn treffend. Wer von euch hatte diese Stadt bis jetzt auf dem Reiseradar? Nein? Eben!
Hinter dem Tour Perret beginnt die Flaniermeile von Amiens, die sich von Place René Goblet bis zum Stadthaus zieht. Bevor ich meine volle Aufmerksamkeit der Hauptattraktion von Amiens widmen kann, benötige ich eine Stärkung. Der erste Blick auf die Notre Dame d’Amiens ist vielversprechend und der Burger im Restaurant Les Epicuriens (22 Rue Dusevel) kann die Erwartungen ebenfalls erfüllen.
Tipp #1 – die Kathedrale Notre-Dame von Amiens
Die Kathedrale im klassischen Baustil der Hochgotik des 13. Jahrhunderts ist das Wahrzeichen von Amiens und prägt das Stadtbild. 1981 wurde sie in die Liste der UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen und seit 1998 ist sie auch Teil des Weltkulturerbes «Jakobsweg in Frankreich». Das Kirchenbauwerk beeindruckt mit seinen Dimensionen und detailreichen Schnitzereien. Mit über 42 m hat die Notre Dame d’Amiens das höchste Mittelschiffgewölbe aller französischen Kathedralen. Die imposante Westfassade mit den drei mit skulpturalen Darstellungen verzierten Portalen sowie das Bodenlabyrinth im Innern sind ebenfalls sehenswert.
Tipp #2 – Quartier St-Leu
Das historische Quartier Saint-Leu am Ufer der Somme hat sich zum beliebten Ausgehviertel gemausert. Ich habe mich sofort in die kleinen Fachwerkhäuser und die engen Kanäle verliebt und hätte stundenlang Haustüren und Fassaden fotografieren können. Sobald es eindunkelt, füllen sich die Terrassen vor den Restaurants mit Leben. In Saint-Leu wird gelacht, gefeiert, getrunken und fein gegessen. «Savoir-vivre» halt.
Tipp #3 – die Garteninseln
Die «Hortillonnages» sind eine Besonderheit von Amiens. Die Tradition dieser Garteninseln in der Somme lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Was früher die Grundversorgung für die lokale Bevölkerung war, wird heute mehrheitlich von Hobbygärtnern und Wochenendhäuschenbesitzern betrieben. Insgesamt sieben «Hortillons» verkaufen ihre Ware noch auf dem traditionellen Wassermarkt, der jeweils am Samstag im Quartier Saint-Leu stattfindet. Verändert hat sich in all den Jahren der Transportweg. Früher wurden Früchte, Gemüse und Blumen mit den Booten von den Inseln zum Marktgelände transportiert. Heute erledigt das der Lieferwagen.
Die Welt der Garteninseln lässt sich per Boot erkunden. Geführte Touren dauern 45 Minuten und Kosten für Erwachsene 6 Euro.
Tipp #4 – Jules Verne
Jules Verne zieht sich wie ein roter Faden durch Amiens. Der Schriftsteller liess sich 1870 in der Heimatstadt seiner Frau nieder und engagierte sich in Amiens für die Stadtplanung und das städtische Theater (Le Pôle National Cirque et Arts). Der Cirque Jules Verne zählt heute zu den bekanntesten Bauten in Amiens. In seinem ehemaligen Wohnhaus können Besucher in die Welt von Jules Verne eintauchen. Das Maison Jules Verne ist nebst dem sehenswerten Musée de Picardie mein Tipp für schlechtes Wetter.
Tipp #5 – «Comme une parenthèse»
Ebenfalls in eine traumhafte Welt wird man von Maler Hubert entführt. Seine Gästehäuser liegen in einen traumhaften Garten eingebettet mitten in den Hortillonnages. Hubert hat nicht nur die Wohnungen mit viel Stil eingerichtet, sondern stellt seinen Gästen auch wahlweise Velo oder Boot für Erkundungstouren zur Verfügung. Ich fühlte mich hier wie mitten auf dem Land und war mit dem Velo trotzdem in 15 Minuten im Quartier Saint-Leu. Der Fuss- und Veloweg führt idyllisch der Somme entlang.
Mein Besuch stellte Hubert auf die Probe – er musste zum ersten Mal ein Frühstück vorbereiten. Die bisherigen Gäste versorgten sich jeweils selbst. Ich würde meinen, diese Premiere ist Hubert geglückt und wäre gerne länger in meiner zauberhaften Atelier-Wohnung geblieben. Also bitte vormerken für euren Besuch in Amiens – schöner und ruhiger könnt ihr hier nicht schlafen.
Hinweis: Die Reise wurde von Frankreich Tourismus sowie Amiens Tourismus unterstützt. Alle Eindrücke sind meine eigenen.
Hi, wirklich grossartige Fotos, schöner Artikel. Ich war vor langer Zeit auch mal in Amiens, aber Du gibst einen schönen neuen Blick auf die Stadt!