Ich befinde mich auf dem Weg nach Aigle, um die Waadtländer Kleinstadt während ihrer schönsten Saison zu besuchen. Wenn sich die Blätter langsam bunt färben, ist der Herbst da und mit ihm die Zeit der Weinlese. Mit dem Zug durchquere ich von Lausanne kommend schon eines der ganz grossen Kulturschätzen im Kanton Waadt – die Lavaux mit ihren steilen, terrassierten Weinbergen mit Blick auf den Genfersee. Aigle selbst liegt südlich vom Genfersee in der Region Chablais, am Eingang zum Rhonetal und ist von Weinbergen umgeben.
Als ich ankomme, sehe ich gerade noch, wie die letzten Sonnenstrahlen die Dents du Midi beleuchten. Schöner könnte die Begrüssung nicht sein. Wir begeben uns zur Wein-Einstimmung in die Badouxthèque (Route de Lausanne 28, Yvorne / Badoux vins ), welche von Henri Badoux gegründet wurde. Hier wird unter anderem der bekannte Aigle les Murailles produziert. Trotz Dunkelheilt, herrscht noch Hochbetrieb. Laufend bringen die Weinbauern ihre gelesenen Trauben aus den umliegenden Weinbergen, die sofort zu flüssigem Gold verarbeitet werden. Beeindruckt bin ich ab den riesigen Stahltanks, die ich auf dem kurzen Rundgang zu sehen bekomme. Danach dürfen wir uns während dem Genuss einer deftigen Papet Vaudois – dem Waadtländer Traditionsgericht schlechthin – durch das Weiss- Rot- und Süsswein Sortiment trinken. Die Waadtländer wissen wie man stilgerecht geniesst – Chapeau!
Von der Badouxthèque bis zu meinem Hotelzimmer im zentral gelegenen und frisch renovierten Hotel du Nord ist es zum Glück nicht weit.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne. Keine einzige Wolke ist am Himmel zu sichten. Wahres Kaiserwetter, perfekt für einen Arbeitstag in den Weinbergen. Heute muss ich nämlich selbst Hand anlegen. Interessierte Kleingruppen dürfen den Winzer Alain Emery bei der Weinlese unterstützen. Bei ihm steht heute die Lese von Pinot Noir auf dem Tagesprogramm. Obwohl in Aigle hauptsächlich Chasselas angebaut wird, ist das Weingut Emery für seine Rotweine bekannt.
Mit dem Auto fahren wir auf engen Strässchen hoch hinauf in die Weinberge. Die letzten Höhenmeter bewältigen wir zu Fuss. Ich bekomme eine scharf aussehende Schere in die Hand gedrückt und mache mich an die Arbeit. Wie viel Handarbeit in der Produktion einer Flasche Wein steckt, merkt man bei der Weinlese schnell. Die Trauben werden einzeln geschnitten, gesäubert und in Kisten gesammelt. Die vollen Kisten werden von den Trägern zum Traktor getragen. Unzählige Helfer aus der Region und dem Ausland unterstützen die Weinbauern bei der Weinlese.
Um zehn Uhr gibt es eine kurze Pause. Wir geniessen bei Tee und Käse die tolle Aussicht. So macht Arbeiten richtig Spass. Einige Helfer genehmigen sich bereits um zehn Uhr ein erstes Gläschen Wein. Ich bin etwas erstaunt, werde dann aber informiert, dass der Weingenuss dann beginnt, wenn eine zweistellige Zahl auf der Uhr erreicht ist (also ab 10:00 Uhr). Das sind Schlingel.
Für uns ist dann schon bald wieder Feierabend. Schliesslich möchten wir den Wein von Alain Emery auch noch in flüssiger Form probieren. Vor der Degustation dürfen wir zuschauen, wie der Pinot Noir, den wir gelesen haben (ein klitzekleiner Anteil davon), verarbeitet wird. Danach probieren wir im gemütlichen Weinkeller den Chasselas – zuerst in Form von Trauben, danach als frischen Traubensaft (am Vortag gelesen und verarbeitet) und zum Schluss der Wein vom Vorjahr. Ich persönlich bin ein grosser Fan vom unglaublich erfrischenden Traubensaft. Vor seinem Haus (Avenue du Cloître 22 / Cave Emery), das sich im idyllischen mittelalterlichen Stadteil von Aigle befindet, kann man direkt ab Hof frische Trauben und Traubensaft kaufen.
Um noch tiefer in die Weinwelt einzutauchen, machen wir uns zu Fuss auf den Weg durch die hübschen Gassen des Altstadtkerns ins frisch renovierte Schloss Aigle. Links und rechts werden die Gärten mit Weinreben gesäumt. Das Schloss Aigle liegt romantisch in die Weinberge eingebettet am Rande der Altstadt. Im Schloss selbst befindet sich das Museum für Weinbau, Wein und Weinetiketten. Die Ausstellung ist interaktiv gestaltet und bietet spannende Einblicke in die Welt des Weinbaus.
Da das Waadtland aber noch viel mehr zu bieten hat als Wein und gutes Essen, nehmen wir am Abend den Zug nach Leysin. Das Wintersportgebiet erreicht man von Aigle aus in nur 25 Minuten. Wir sind jedoch nicht wegen dem Schnee hier, sondern uns wurde von der phänomenalen Aussicht über den Genfersee vorgeschwärmt. Das wollen wir natürlich selber sehen. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir Prafandaz, oberhalb von Leysin. Und als hätten wir es bestellt, zeigte sich der Himmel in immer fantastischeren Rottönen. Selbst der Genfersee scheint zu glühen. Als wäre das hier nicht schon perfekt genug, gibt es dazu noch ein Schlückchen Rosé-Wein und Wurst. Eine sensationelle Stimmung, die den gelungen Tag in den Weinbergen perfekt abrundet. Und das ist erst der Anfang, denn im Waadtland warten noch viele Abenteuer darauf, von mir entdeckt zu werden.
Hinweis: Ich wurde von der Region du Lac Léman zu dieser Reise eingeladen – Vielen Dank hierfür. Meine Leser dürfen wie immer sicher sein, dass ich hier stets meine Ansichten und Begeisterung vertrete. Übrigens, wer nun auch Lust auf das Abenteuer Weinlese bekommen hat, der kann sich über das Tourismusbüro Aigle anmelden.