„Aus Fehlern lernt man.“ Schön wär’s! Ich tendiere nämlich dazu, die gleichen Fehler systematisch zu wiederholen und mit dem Kopf mehrmals gegen die Wand zu laufen. So zum Beispiel auch vor wenigen Wochen in Ftan. Wir stehen mit dem Rollkoffer ratlos vor einem Mehrfamilienhaus am Dorfrand. Die Augen abwechselnd auf Google Maps und die Umgebung gerichtet.
„Es muss hier sein!“
„Schau, gemäss Google Maps stehen wir exakt davor!“
Vis-à-vis von uns öffnet eine Dame im obersten Stock des Mehrfamilienhauses das Fenster. Sie hat unsere ratlosen Blicke und das wilde Gestikulieren wohl schon eine Weile beobachtet.
„Kann man Ihnen helfen?“, ruft sie uns zu.
„Wir suchen das Paradies.“
„Das Paradies ist dort drüben“, erklärt sie uns und zeigt mit dem Finger auf eine Hügelkuppe am Horizont.
Einmal mehr bin ich also reingerasselt. Habe Google Maps vertraut, statt den Anfahrtsplan auf der Hotelwebseite zu studieren. Wollte unbedingt mit dem Postauto anreisen, statt mich am Bahnhof Scoul gratis vom Hotel abholen zu lassen. Und jetzt stapfe ich missmutig der Strasse entlang und ziehe den Koffer hinter mir her. So einfach landet man halt nicht im Paradies.
Update 2018: Das Paradies hat sein Konzept geändert und funktioniert neu als Club Privé – es ist weiterhin möglich, als nicht Club-Mitglied Zimmer zu buchen.
Ein Hideaway mit Geschichte
Man schrieb das Jahr 1910 als sich der Maler Hans Walter Beyer von der prächtigen Landschaft des Unterengadins inspirieren liess uns sich diesen hübschen Fleck vor Ftan mit dem Namen „Il Paradies“ für sein Refugium aussuchte. Zu Beginn als reines Wohnhaus genutzt, gingen mit den Jahren immer mehr Gäste ein und aus. Nach mehreren Besitzerwechseln der vergangenen Jahre bildet das 5-Sterne Hotel Paradies ein kleines feines Hideaway in der Engadiner Bergwelt. Der Begriff Hideaway trifft beim Paradies den Nagel auf dem Kopf. Vor dem Hotel steil abfallende Wiesen und eine hübsche alte Mühle. Hinter dem Hotel Tannenwälder und weite Felder. Ausser dem Wanderweg, der direkt daran vorbeiführt, stört hier nichts und niemand die Ruhe der Gäste. Ein Rückzugsort für alle diejenigen, die sich ein paar Tage nach Ruhe und Naturgenuss sehnen.
Wohnen mit Bergsicht
Beinahe hätten wir wegen dem Google Maps Malheur das Paradies verpasst, doch mit Umwegen erreichen auch wir schlussendlich das Ziel. Einem entspannten Bergwochenende steht nun nichts mehr im Weg. Unsere geräumige Suite befindet sich im Haupthaus direkt unter dem Restaurant Charn Alpina. Auf den ersten Blick eine etwas komische Raumaufteilung, aber das rührt daher, dass das Paradies organisch gewachsen ist. Grosse Fenster bringen die Bergwelt direkt ins Wohnzimmer. Die Möblierung ist zurückhaltend dezent. Akzente werden gekonnt mit Details, wie den frischen Haselnüssen samt Nussknacker oder dem Feldstecher gesetzt. Ein Zimmer ganz nach meinem Geschmack.
Genussvoll entschleunigen
Ein Tag im Paradies beginnt für uns mit dem Blick in die Berge. Der Himmel beschert uns mit seinem roten Glühen ein morgendliches Naturspektakel. Darauf folgt ein genüssliches Frühstück. Das Morgenbuffet ist liebevoll zubereitet und beinhaltet einige kulinarische Überraschungen der Region. Ich kann mich kaum entscheiden, ob ich meinen Teller zuerst mit feinstem Trockenfleisch von Hatecke, der verführerisch duftenden Bündner-Nusstorte oder doch mit dem frischen Paradies-Müesli beladen soll. Ich schätze, dass ein klarer Fokus auf Regionalität gesetzt wird und zum Beispiel nur zwei Bündner Bergkäse zur Auswahl stehen und auf eine wilde Auswahl an allerlei ausländischen Käsesorten bewusst verzichtet wird. Chapeau dafür!
Anschliessend lockt die frische Luft der Bergwelt. Das Hotel Paradies liegt direkt am Wanderweg in Richtung Ardez und Guarda. Die Wandermöglichkeiten sind schier unbegrenzt. Unzählige Täler und Gipfel warten darauf, entdeckt zu werden. Da hat es vom gemütlichen Spaziergänger bis zum ambitionierten Bergsteiger für jedermann etwas mit dabei. Wir entscheiden uns am ersten Tag für die offensichtlichste Route direkt dem Jakobsweg entlang vom Hotel Paradies bis nach Guarda. Am darauf folgenden Tag wagen wir einen Abstecher in Richtung Zernez in den Schweizerischen Nationalpark.
Wer es lieber entspannter mag oder wenn das Wetter nicht so richtig mitspielt, der findet in und um das Hotel gemütliche Rückzugsorte. Bei schönem Wetter lädt die Terrasse mit Panoramablick auf das gegenüberliegende Schloss Tarasp zum Verweilen ein. Bei garstigem Wetter lässt sich das gleiche Panorama bei einer heissen Tasse Tee und einem knisternden Feuer von der Bar aus geniessen. Eine urige Gemütlichkeit strahlt auch die reich bestückte Bibliothek aus. Hier lässt es sich mit einem spannenden Buch problemlos einen Regentag aushalten.
Nicht nur für geistige sondern auch körperliche Entspannungsmomente ist gesorgt. Mit einem Sprudelbad, einem Dampfbad und einer Sauna mit Ausblick in die Landschaft wurde auch im Spa bewusst nicht auf Masse sondern Qualität und Einzigartigkeit gesetzt. Besonders nett ist dabei die Dachterrasse mit zwei Hot Tubs inmitten der Bergwelt. Die perfekte Kulisse, um den Alltag weit hinter sich zu lassen.
Ein Tag im Paradies endet, wie könnte es auch anders sein, mit kulinarischen Höhenflügen. Seit Ende Mai 2014 hat der Österreicher Gustav Jantscher das Zepter übernommen und eine neue Ära eingeläutet. Das Hotel Paradies, das seit Jahrzehnten einen exzellenten Ruf als Sterne-Restaurant hatte, machte bewusst einen Schritt zurück. Einfach, natürlich, genussvoll – so die Devise. Dem Gast stehen am Abend zwei Restaurants zur Auswahl. Das La Cucagna, was so viel bedeutet wie Schlaraffenland und das Charn Alpina – „alpines Fleisch“. Die erfolgreiche Umsetzung des neuen Konzepts des Charn Alpinas basiert auf einer Zusammenarbeit mit dem bekannten Metzgermeister Ludwig Hatecke aus Scoul. Das neue Konzept war gewissermassen ein Risiko. Doch es hat sich ausgezahlt und mit den im Herbst 2014 erhaltenen 15 Gault-Millau Punkten, ist man genau dort, wo man hinwollte. Nebst dem butterzarten Fleisch, begeistert mich vor allem die Präsentation der Gerichte. Wundervoll angerichtet ist jeder Teller ein kleines Kunstwerk.
Wir haben uns wohl gefühlt im Paradies und können es jedem für eine kurze Auszeit empfehlen. Die klare Bergluft, das gute Essen und das wunderschöne Panorama sorgen wahrlich für paradiesische Momente. Am 19. Dezember startet das Hotel in die Wintersaison und bietet auch da dank seiner Anbindung an das Skigebiet Scoul, Langlauflopien (Dario Cologna trainierte hier) und Winterwanderwegen eine gute Ausgangslage für ein traumhaftes Winterwochenende. Die Doppelzimmerpreise beginnen bei 390 CHF / Nacht inkl. Frühstück.
Hinweis: Ich wurde vom Hotel Paradies zu diesem Aufenthalt eingeladen – Vielen Dank hierfür. Meine Leser dürfen wie immer sicher sein, dass ich hier stets meine Ansichten und Begeisterung vertrete.
Ein kleiner Rat: Google Maps im «Nirgendwo» oder abseits von den normalen Verkehrswegen ist (noch) Müll. Wieso nutzt du nicht eine Swisstopo-Kartenapp?
Wäre wirklich Schade gewesen wenn ihr das Ziel nicht gefunden habt und keine so tollen Bilder hättet mitbringen können.
Ich mülle mein Smartphone grundsätzlich nicht mit Apps zu ;) Spass beiseite: Google Maps hat eigentlich schon richtig angzeigt, da das Paradies im genannten Mehrfamilienhaus noch Büroräumlichkeiten hat und diese anstelle des Hotelgebäudes lokalisiert waren. In 95% der Fälle ist Google Maps ziemlich gut :) Danke für den Swisstopo Tipp!