Ich bin keine Gipfelstürmerin. Ganz im Gegenteil. Gipfel waren mir komplett egal. Eine schöne Wanderung bedingt kein Erklimmen einer Gipfelspitze. Doch diesen Sommer hat mich aus dem Nichts das Gipfelfieber gepackt. So nahm ich auf dem Toggenburger Höhenweg etliche zusätzliche Höhenmeter in Kauf, um vom Gipfel des Leistchamms und vom Speer den Panoramablick zu geniessen. Jeder einzelne Höhenmeter und Schweisstropfen, den wir an diesen heissen Sommertagen verloren hatten, war es Wert. Und dann tauchte plötzlich diese Idee auf:
„Anita, wie wär’s mit einem Viertausender?“
Hm, gute Frage. Tönt hoch. Tönt nach dünner Luft. Tönt nach Abenteuer. Und ohne gross zu überlegen, entgegnete ich „klar, wieso nicht. Das Grundtraining hätten wir ja diesen Sommer absolviert.“
48 Berge knacken in der Schweiz die magische Grenze der viertausend Höhenmeter. Einige davon teilt sich die Schweiz mit ihren Nachbarländern. Einfache Einstiegsberge für die ersten Annäherungsversuche mit dieser Höhe sind das Breithorn in Zermatt und das Allalinhorn in Saas Fee. Für unsere Premiere entscheiden wir uns für Letzteres. Und so machten wir Gipfelstürmer uns auf den Weg nach Saas Fee.
Das Wetter zeigt sich bei unserer Ankunft noch von der freundlichen Seite. Der Föhn hat die Wolken überraschend lange im Zaum gehalten. Als Erstes steuern wir im Dorfkern von Saas Fee ein Sportgeschäft an, um die nötige Ausrüstung (Steigeisen, Gurt und Stock) zu mieten. Zur Vorbereitung hatte ich mir noch steigeisenfeste Wanderschuhe gekauft – man will sich ja schliesslich nicht vor dem Bergführer blamieren. Absolut unnötig, wie sich im Sportgeschäft in Saas Fee herausstellte, denn normale Wanderschuhe in Kombination mit Steigeisen (Befestigung mit Körbchen) wären für diese Tour ausreichend gewesen (note to self: die Beratung der Dame im Bächli Sport war für die Katz, die wusste nämlich nicht einmal, wo und was das Allalinhorn ist).
Unser Basislager ist das Wellness Hostel 4000 direkt bei der Postautostation in Saas Fee. Die neue Jugendherberge wurde letzten Herbst eröffnet und bietet für unkomplizierte Gäste die perfekte Ausgangslage, um Saas Fee zu entdecken. Die Doppelzimmer sind geräumig und das Abendessen mit Suppe, Salat, Hauptgang und Dessert kostet für Jugi-Gäste und externe Gäste (Anmeldung bis 17:00 Uhr) 17.50 CHF. Das Ganze erinnert mich an die Uni-Kantine, doch für diesen Preis ist das in Ordnung.
Die Sache mit dem Wetter
Der Wecker holt uns am nächsten Morgen kurz vor halb sechs aus dem Traumland. Der Blick aus dem Fenster bringt die Ernüchterung. Das Wetter hat total umgeschlagen. Danny, unser Bergführer, vertröstet uns per SMS auf 08:30 Uhr. Doch das Warten bringt nichts. Von Minute zu Minute werden die Wolken dunkler und die Regentropfen dicker. „Mal schauen, vielleicht ist die Gorge Alpine ja eine Option“, meint Danny. Bei mir im Magen breitet sich ein flaues Gefühl aus. Mit einem knapp dreistündigen Klettersteig als Alternative zur Bergtour hatte ich nicht gerechnet. Klettersteige und ich stehen quasi auf Kriegsfuss – aber man soll sich ja schliesslich seinen Ängsten stellen. Doch der heftige Niederschlag lässt uns dann auch diesen Plan verwerfen und wir einigen uns darauf, die Jokerkarte auf den nächsten Tag zu setzen.
Akklimatisieren auf der Hannigalp
Für uns geht’s zurück ins Wellness Hostel, wo wir uns nochmals ins Bett verkriechen. Nach dem Mittag treiben uns die Hummeln unter dem Hintern und das Hungergefühl im Magen nach draussen. Es tropft zwar immer noch vom Himmel, doch das hält uns nicht davon ab, mit der Seilbahn auf die Hannigalp zu fahren. Zum einen ist es die einzige Seilbahn, die an diesem Tag in Betrieb ist, zum anderen ist sie für Gäste mit dem Bürgerpass kostenlos. Im Restaurant bei der Bergstation bestelle ich einen Herbstsalat, der Freund ein Cordon-Bleu und pünktlich zum Swiss Rock Café inklusive einem Schuss Abricotine zeigen sich die ersten zögerlichen Sonnenstrahlen des Tages. Wir nützen die Gelegenheit für einen kurzen Akklimatisation-Marsch von der Hannigalp nach Saas Fee runter.
Achtung, fertig Gipfelstürmer – Allalinhorn
Am nächsten Morgen zeigt sich beim ersten frühmorgendlichen Blick aus dem Fenster ein ähnliches Trauerspiel wie am Vortag. Nebelschwaden ziehen durch Saas Fee und die Bergflanken sind komplett von den Wolken vereinnahmt. Kurz vor sieben Uhr erneut eine SMS von Danny „Guten Morgen Anita, die Bergbahnen sind zurzeit geschlossen. Nächste Info folgt um 07:30 Uhr“. Wird unsere Viertausender Premiere an den Windböen scheitern? Doch bei Müesli und Kaffee zeigt der Blick aus dem Fenster erfreuliche Tendenzen. Die Wolken dünnen sich aus. Da und dort ist bereits ein Quäntchen blauer Himmel zu sehen. Auch um 07:30 Uhr gibt es noch keine definitive Information von den Bergbahnen. Trotzdem beschliesst Danny, dass wir uns um 08:30 Uhr in voller Montur beim Alpin Express treffen.
Eine weise Entscheidung. Pünktlich um 08:30 Uhr dürfen wir in die erste Gondel steigen und knappe 20 Minuten später erreichen wir mit der Metro Alpin die Station Mittelallalin auf beinahe 3’457 m ü. M.. Steigeisen montieren, Gurte kontrollieren und los geht’s. Vor lauter bibbern, ob es überhaupt klappen wird, kann ich unser Glück und die Tour, die vor uns liegt, gar nicht so richtig fassen. Am meisten Bammel habe ich vor der Höhe. Wird mir der Schnauf ausgehen oder reicht die Puste bis auf den Gipfel?
Bald einmal stellt sich heraus, dass der Schnauf meine geringste Sorge sein wird. Über Nacht hat es rund 30 cm Neuschnee gegeben. Wir sind die erste Seilschaft an diesem Tag und dürfen Vorspuren. „Normalerweise dauert die Gipfelbesteigung rund zwei Stunden. Bei diesen Verhältnissen sind wir wahrscheinlich etwas länger unterwegs“, meint Danny und ergänzt augenzwinkernd „ich habe mir dieses Jahr sowieso bereits den goldenen Ratrac verdient“.
Ich stapfe Schritt auf Tritt hinter Danny her und sinke immer mal wieder bis zu den Knien ein. Eigentlich könnte ich jetzt gemütlich im Büro sitzen und Kaffee trinken, denke ich, mit Blick auf vor uns liegenden Gipfel. Werde ich es bis oben schaffen? Nein, das Allalinhorn ist an diesem Tag kein Spaziergang, und als wir das Plateau beim Feejoch erreichen, bin ich ziemlich geschafft. Ungemütliche Windböen treiben uns bald einmal weiter. „Noch 30 Minuten“, meint Danny und setzt weiter seine Spuren in den jungfräulichen Schnee.
Exakt 2.5 Stunden nach Abmarsch beim Mittelallalin erreichen wir den Gipfel auf 4‘027 m ü. M.. Geschafft! Die Fernsicht entlockt uns an diesem Tag jedoch keinen Jauchzer. Das ist auch gar nicht nötig. Hier war der Weg mein Ziel und ich bin unglaublich stolz, dass ich diese Herausforderung gemeistert habe. Vielleicht werde ich doch noch zur Gipfel-Sammlerin. Wer weiss.
Infos und Tipps für deinen ersten Viertausender:
- Auch wenn das Allalinhorn technisch nicht anspruchsvoll ist – die Höhe und das Wetter (starke Winde, schnelle Wetterveränderungen) sollten nicht unterschätzt werden
- Die Tour nur mit einem erfahrenen Bergführer unternehmen: Infos zu den Touren und Kosten der Saas-Fee Guides
- Das Allalinhorn kann entweder ab Saas Fee via Mittelallin als Tagestour oder mit Übernachtung in der Britanniahütte als Zweitagestour gemacht werden
- Ausrüstung: Bergschuhe, Steigeisen, Stock mit rundem Teller, Gurt, Gamaschen
- Das Package «mein erster Viertausender» kann ab 364 CHF pro Person (inkl 2 Übernachtungen, Bergführer und Ausrüstung) gebucht werden
- Schlechtwetteralternative mit Adrenalinkick: Gorge Alpine
- Sich zur Belohnung einen Burger im Dom Stübli (Dorfplatz 2) gönnen
Hinweis: Unser Aufenthalt in Saas Fee wurde von der Freien Ferienrepublik Saas Fee unterstützt. Vielen Dank hierfür! Meine Leser dürfen wie immer sicher sein, dass ich stets meine Ansichten und Begeisterung vertrete.
Hey super!! Herzliche Gratulation zu Deinem ersten Viertausender. Es wird bestimmt nicht der letzte sein! :-)