Zu Weihnachten hat der Freund das Buch „Slow Travel“ des britischen Autors Dan Kieran geschenkt bekommen. Noch am selben Abend verschlang ich das Buch während die Männerrunde in aller Lautstärke Tichu (wer nicht weiss, was das ist, bitte hier klicken) spielte. Das Buch ist unterhaltsam geschrieben und gespickt mit Anekdoten aus dem Alltag des vielgereisten Journalisten. Auch wenn ich nicht bei all seinen Zeilen bejahend mit dem Kopf nicken kann, hat mich das Buch dazu inspiriert, endlich einmal meine Gedanken zum Reisen stichwortartig zusammenzufassen.
Weiter weg ist nicht besser
Kürzlich hatte ich eine Diskussion mit einer guten Freundin, die meinte:
„Je weiter weg, je exotischer die Destination, je fremder die Kultur, desto besser der Urlaub oder das Reiseerlebnis“
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich ähnliche Gedanken. Nur wenn ich am Flughafen Zürich das Gate E ansteuerte, war ich richtig aufgeregt. Das Gate E steht nämlich als Synonym für die exotischen Langstreckenziele. Ein Flug ab Gate A, B oder D wie langweilig ist das denn?! In diesem Jahr war es anders. Die weiteste Reise in diesem Jahr führte mich nach Marrakesch. Ein Mittelstreckenflug ab Gate D. War das jetzt ein langweiliges Reisejahr?
Ganz klar nein! Es war im Gegenteil unglaublich vielfältig.
Ich stöbere gerne in anderen Blogs. Dabei habe ich in den vergangenen zwei Jahren festgestellt, dass es weit mehr Reiseblogs gibt, die über exotische Destinationen schreiben. Die vom Fernweh gepackt Länder wie Cumulus-Punkte sammeln und für ihre Heimat nur ein müdes Lächeln übrig haben. Aber hei, weiter weg ist nicht unbedingt besser. Wer hat schon all die europäischen Kleinstädte besucht, die noch keine Touristenhotspots sind? Wer hat schon seine Heimat bereist? Wer ist schon einmal mit einer Karte durch die eigene Stadt gewandert?
Mein Fazit des Reisejahrs 2014: um mein Fernweh und meinen Entdeckergeist zu stillen, muss ich nicht zwingend das Gate E am Flughafen Zürich ansteuern.
Lieber kein Reiseführer als ein schlechter Reiseführer
Ihr kauft euch vor der Reise einen Reiseführer, der dann wochenlang unangetastet auf dem Schreibtisch rumliegt. Erst im Zug oder Flieger sitzend nehmt ihr ihn zum ersten Mal schuldbewusst in die Hand und blättert hektisch durchs Buch, weil ja nur noch wenig Vorbereitungszeit bleibt. Na, kommt euch das bekannt vor?
Dan Kieran schildert dieses Phänomen in seinem Buch und ich fühlte mich prompt ertappt. Da ich mich selbst aber schon vor längerer Zeit über dieses Verhalten geärgert hatte, zog ich Konsequenzen, auf Städtereisen nehme ich seither nur noch den passenden Wallpaper City Guide mit (und hoffe inständig, dass sie endlich eine Android-App releasen). Zudem drucke ich mir jeweils die kompakten Tipps aus der New York Times Serie „36 hours“ aus. Die Wallpaper City Guides mag ich, weil sie wirklich tolle Restaurant-Tipps geben und keine Standard-Sehenswürdigkeiten auflisten. Der Fokus liegt auf Design und Architektur. Für den Rest lasse ich mich direkt vor Ort inspirieren. Ja, manchmal muss ich dafür in Kauf nehmen, dass ich etwas verpasst habe, aber das wiederum ist ein Grund, um nochmals zurückzukehren. Lieber etwas auslassen, als gestresst die Top 10 Sehenswürdigkeiten des Reiseführers abarbeiten und in durchschnittlichen Touristenrestaurants festsitzen.
Distanzen im öffentlichen Verkehr fühlen
In einem kann ich Dan Kieran zu 100% zustimmen. Eingepfercht in einem Billigflieger von A nach B zu fliegen, ist kein Reiseerlebnis. Es ist Stress. Es macht keinen Spass. Es findet unterwegs auch keine Auseinandersetzung mit den Distanzen und den Ländern zwischen der Ausgangs- und Zieldestination statt. Man reist nicht, man kommt an.
Genau weil ich das Reisen dem Ankommen vorziehe, bin ich schampar gerne mit dem Zug unterwegs. Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal nach Berlin reiste, fuhr ich extra durch den Tag von Bern nach Berlin. Ich wollte mir dabei durch das Zugfenster den Rest von Deutschland auch gleich noch ansehen. Oder bei meinem letzten Besuch in Wien fuhren wir mit dem Nachtzug hin und durch den Tag zurück und kombinierten die Rückfahrt mit einem zweistündigen Stopp in Salzburg. Was für ein Erlebnis. Ebenso unterhaltsam war die diesjährige Reise mit dem öffentlichen Verkehr durch Österreich, Slowenien und Italien.
Beim Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bekomme ich einen ersten ungefilterten Eindruck vom Land und der Kultur. Es ergeben sich auch immer wieder spontane Möglichkeiten, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Reisen mit dem öffentlichen Verkehr bedeutet zudem, ein Gefühl für die Distanzen zu bekommen und sich mit dem lokalen Verkehrsnetz und der Sprache auseinanderzusetzen. Herausforderungen, die zu meistern sind, aber viel länger im Gedächtnis bleiben als ein x beliebiger Flug.
Schöner Wohnen
Jeden Rappen dreimal umdrehen – nicht mein Ding. Gerade bei der Unterkunftswahl bin ich inzwischen echt wählerisch geworden. Das will nicht heissen, dass ich nur noch in Luxus Hotels absteige. Für mich muss das Preis- Leistungsangebot stimmen und wenn ich der Ansicht bin, dass ich für einen moderat höheren Preis auch eine markant bessere Leistung erhalte, dann ist die Entscheidung gefallen. Eine echte Herausforderung war zum Beispiel die Unterkunftssuche für unseren anstehenden Silvester-Trip nach Edinburgh. Nicole Hunziker gab mir auf Instagram einen tollen B&B Tipp. Leider stellte sich heraus, dass die Unterkunft während unserem Reisezeitraum bereits ausgebucht war. Mein Anspruch war nun, ein ebenbürtiges B&B zu finden, das ebenfalls im Budget liegt. Nach drei Tagen Suchen und Vergleichen wurde ich fündig. Wir sind gespannt, ob die Erwartungen nächste Woche erfüllt werden.
Selbstverständlich hätten wir auch einfach eine Unterkunft in einem Hostel oder einem Kettenhotel buchen können. Wäre ich nur ein Tag in der Stadt gewesen, hätten wir diese Option sogar in Betracht gezogen. Aber für fünf Nächte über Silvester, mag man sich ja auch was gönnen.
Alleine Reisen ist doof
Vor ein paar Jahren, zwischen Gymnasiums-Abschluss und Studiumsbeginn, zog ich alleine los. Schweden und Dänemark auf eigene Faust entdecken. Nichts Wildes. Ich bin einerseits froh, dass ich es damals mangels Reisegspändli mit genügend Zeit alleine durchgezogen hatte. Es war eine interessante Erfahrung, es war andererseits aber auch die Erkenntnis, dass alleine Reise nichts für mich ist. Mir fehlte der Dialog. Erlebnisse konnten nicht vor Ort geteilt oder diskutiert werden. Mir fehlte auch das gute Essen. Restaurantbesuche gehören für mich zu einem Reiseerlebnis dazu, aber sich alleine an einen Restauranttisch setzen, kam mir komisch vor. Mir schien damals, als wäre ich eine Ewigkeit unterwegs. Oft sass ich stundenlang auf einer Bank im Park und überlegte, was ich mit dem Rest des Tages noch anstellen sollte. Mein Problem war, dass ich alleine furchtbar effizient war und alles in der Hälfte der normalen Zeit besichtigt hatte.
Vor kurzem war ich wieder einmal einen Tag alleine in einer italienischen Stadt unterwegs und fühlte mich in die Zeit dieser Reise zurückversetzt. Zu Zweit oder in einer Gruppe mit guten Freunden fühlt sich Reisen für mich schlichtweg besser an.
Hallo Anita,
Also ich glaub dieses Buch muss ich auch mal noch lesen. Klingt sehr interessant und es scheint, es regt zum denken an.
Am Anfang des Textes habe ich mich selbst wieder erkannt. Mich zieht es ja auch immer in exotische Länder, meist weit weg. Das hat für mich irgendwie einen besonderen Reiz.
Du hast natürlich schon recht, auch in Europa gibt es unheimlich viel zu entdecken und man muss nicht immer in die Ferne schweifen. Wir touren ja gerade durch die Schweiz, was unheimlich schön ist und doch ist schon wieder Fernweh da. Oder eher die Sehnsucht nach Wärme das ganze Jahr durch ;-)
Viele Grüsse,
Reni
Hallo Reni. Wie geschrieben, habe ich ein Verständnis für dieses Fernweh. Auch ich reise gerne weit weg und habe noch ein paar Reiseträume ännet dem Atlantik :) Trotzdem hat mir gerade mein Reisejahr 2014 gezeigt, wie unglaublich vielfältig Europa ist und die Entdeckungstour durch unseren Kontinent werde ich auch im nächsten Jahr fortsetzen.
Hallo liebe Anita,
danke für den schönen und nachdenklichen Post. Mir geht es sehr ähnlich und ich kann dir in fast jedem Punkt zustimmen. Auch ich komme langsam weg vom «angeranzten-Backpacker-Hostel» zu «netter kann es schon sein». :D Auch die Reiseführer werden nicht mehr gekauft, weil ich einfach nur vor Ort «sein» will und einfach sehe was passiert. Und alleine Reisen finde ich sowieso total doof. :-)
Nur das mit dem In-der-Heimat-Reisen muss ich noch ein wenig lernen. Mich zieht es noch immer gerne weiter weg, vor allem da wir ja über Weihnachten & Silvester unterwegs sind und dafür finde ich Europa einfach viel zu kalt.
Liebe Grüße
Christina
…und uns kann es nicht kalt genug sein ;) Spass beiseite – zu den Winterflüchtlingen gehöre ich definitiv nicht, habe aber ein gewisses Verstädnis dafür. Du kannst ja dafür im Sommer mal ins Appenzellerland kommen. Das ist ja gleich bei dir ums Eck und wetten, du warst noch nie da? :D
Kann ich mir das Buch mal ausleihen ? Der Mensch schreibt mir aus dem Herzen (und nicht als einziger). Ich habe in diesem Jahr zwar auch eine Fernreise gemacht, aber ich will noch so viel kennenlernen. Im kommenden Jahr haben wir einen Themenmonat «Heimatliebe» aufgenommen, ich bin gespannt was dabei rauskommt.
Für mich ist es sehr stark auch eine Frage des Wetters. Ich tu mich schwer mit Regionen die nur Feucht-Warmes Wetter haben. Und ich bin neugierig auf Ziele, die nicht unbedingt jeder bereist. Für kommendes Jahr ist eine Tour nach Madgeburg geplant. Bin ziemlich gespannt – war zwar schon zwei drei mal da… aber nie lang genug…
Oh super Themenmonat! Bin gespannt, was ihr da so bringt :) Und genau, ich mag auch diejenigen Ziele, die noch nicht auf jedermanns Reiseradar gepoppt sind und da bietet Europa (insbesondere Osteuropa) noch einige interessante Regionen. Das Buch kannst du dir gerne einmal ausleihen – melde dich einfach, wenn du mal in der Nähe von Zürich unterwegs bist :)
Das Buch hat mir auch sehr gut gefallen! Trotzdem bin ich oft im Zwiespalt: Man fliegt tausende Kilometer weit weg, hat nur zwei oder drei Wochen Zeit und will natürlich ALLES sehen. Dann hetzt man herum und am Ende ist man nur erschöpft. Mittlerweile habe ich es kapiert: Weniger ist mehr! Europa als Reiseziel stand bei mir 2014 auch ganz oft auf meiner Reiseliste und alle diese Reisen waren wunderbar. Aber ohne Reiseführer geht bei mir gar nichts! Ich wünsche Dir viele spannende Reisen 2015! Gudrun
Diesen Zwiespalt kenne ich. Aktuell hadere ich gerade mit dem Wenn und Aber einer möglichen Brasilienreise. Irgendwie bin ich total überfordert, weil Brasilien soooooo gross ist und ich mir gerne genau deshalb richtig viel Zeit dafür nehmen möchte.
Ich wünsche dir auch ein erlebnisreiches Reisejahr 2015!
Ist das ein Affiliate Link? :D Ich überlege nämlich, mir das Buch zu kaufen. Ich bin ja aufgrund meiner Kinder das Gegenteil von Slow Traveler wenn ich allein unterwegs bin. Denn dann versuche ich die Zeit so gut es geht zu nutzen. Das heißt manchmal, eine ganze Wochen am Stück an einem Ort zu sein, manchmal aber auch, in einer Woche so viel wie möglich zu fahren um so viel wie möglich zu sehen. Du hast mit den Bergen rund um dich herum ja ohnehin eine super faszinierende Heimat, über die man viele viele Blogs füllen könnte mit wunderschönen Bildern… Hab ein schönes Jahr 2015!
Hallo Heike anscheinend hast du nicht auf den Link geklickt sonst hättest du gemerkt, dass er zur «Zeit» und nicht zu Amazon führt… und ganz generell, ich habe auf meinem Blog keinen einzigen Affiliate Link. Wünsche dir auch ein schönes 2015.
Liebe Anita,
das Buch bzw. Dein Artikel dazu spricht mir auch in weiten Teilen aus der Seele.
Ich habe über Jahre auch nur Fernreisen unternommen – und dann in den letzten Jahre wieder entdeckt, wie schön es doch eigentlich in Europa ist. Auch das Thema Unterkunft kann ich nur unterstreichen – irgendwann war der Punkt erreicht, wo ein Hostel einfach ein no go war. Dem Punkt Reiseführer kann ich allerdings nicht zustimmen – ich reise gerne schon mal in der Fantasie in die Länder – vor Ort lasse ich mich dann aber doch sehr gerne treiben…
Viele Grüße
Daniela
Liebe Daniela danke für deinen Kommentar. Ich lese persönlich lieber Bücher die in fernen Ländern spielen – zum Beispiel die Donna Leon Romane, die mich schon mehrmals nach Venedig entführt haben etc. Mit rein sachlichen Reiseführer kann ich dagegen echt wenig anfangen, aber das ist wohl Geschmacks- und Typsache :)
Deinen Beitrag kann ich so unterschreiben.
Daheim bzw. Europa ist so schön und es gibt wirklich schöne Orte, die viel zu wenig Beachtung bekommen.
Und in Sachen Unterkünfte haben mich Jugendherbergen schon immer abgeschreckt. Da spare ich lieber ein – zwei Wochen länger und habe dann meine Ruhe. Ich greife dann auch gern auf eine Wohnung über Airbnb zurück. Da hat man wenigstens noch ein gemütliches Sofa und alle Küchengeräte zum selber kochen. Denn ich liebe es auf Reisen auch einfach mal in Supermärkte zu gehen und zu gucken, was dort gegessen wird und was es dort alles gibt.
Super Input mit dem Supermärkten – ich bin ehrlich gesagt bis jetzt eher der Restaurant-Esser, aber vielleicht sollte ich das mal überdenken :)