Es ist eine Wanderung der Superlative – der Europaweg zwischen Grächen und Zermatt führt gemessen an der Höhendifferenz zwischen dem höchsten Punkt einer Bergspitze und dem tiefsten Punkt der Talsohle durchs «tiefste Tal der Schweiz», über die längste Hängebrücke der Welt und bietet auf der Hälfte der Wegstrecke freien Blick auf die Schweizer Bergikone schlechthin – das Matterhorn. Kein Wunder also, dass der Europaweg ein heisser Anwärter für den Titel der schönsten Mehrtageswanderungen der Schweiz gilt. Gleichzeitig hält das sich stets verändernde Terrain am Fusse fragiler Viertausender sowohl für den Wegunterhalt als auch für die Wegbezwinger so einige Herausforderungen bereit.
Wir haben im September zwei Teiletappen unter die Lupen genommen und euch nicht nur schöne Impressionen, sondern auch einen Übernachtungsgeheimtipp mitgebracht. Denn wer in der bekannten Europahütte übernachtet, verpasst das eigentliche Highlight am Europaweg – den Sternenhimmel über dem Matterhorn.
Du möchtest meine Impressionen der Tour überspringen und direkt die Hard Facts sowie die Wanderkarte der 2-Tageswanderung entlang dem Europaweg studieren – dann klicke hier: zu den praktischen Tipps
Wanderung von Randa auf dem legendären Europaweg
Eigentlich startet der Europaweg in Grächen und führt von dort hoch über der Talsohle via Europahütte und Täschalp bis nach Zermatt. Aufgrund von Steinschlaggefahr ist jedoch schon seit längerer Zeit ein Teilabschnitt der ersten Etappe gesperrt und die Umleitung führt von Flüewald via Mattsand hinunter nach Herbriggen und von dort wieder hoch zur Europabrücke. Dabei fallen einige zähe, zusätzliche Höhenmeter an. Wer diesen Ausweichen möchten, der startet die Wanderung weiter hinten im Tal und steigt von dort zum Europaweg hoch. Sei das in Herbriggen oder – wie bei unserer Variante – in Randa.
Wir folgen am Bahnhof Randa den Wegweisern Richtung Europahütte/Europabrücke vorbei an den sonnengebräunten Chalets im Ortskern, bis wir den Lärchenwald erreichen, der sich entlang der Talflanken des Mattertals zieht und es im Verlauf des Oktobers jeweils mit einem goldigen Schimmer überzieht. Beim Aufstieg halten wir uns nach links und folgen nicht dem direkten Weg zur Europabrücke. Dies deshalb, weil sich unser Tagesziel rechts von der Europabrücke befindet und wir daher unsere Route zum Überqueren der aktuell längsten Hängebrücke der Welt extra passgenau adaptieren. Ich möchte sie nämlich nicht nur aus der Ferne begutachten, sondern auch die luftige Höhe erleben.
Der Aufstieg entlang dem Waldpfad verläuft flott – der Weg weist ein angenehmes Steigungsverhältnis auf und bietet auch fast durchgehend willkommene Schattenlagen. Einzig vom frühen Blick auf die Hängebrücke sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch wenn sich diese schon bald zeigt, dauert es dann doch noch ein gutes Stück, bis wir unseren Fuss auf die fast 500 m lange Hängebrücke setzen können.
Nervenkitzel auf der längsten Hängebrücke der Welt
Die Charles Kuonen Hängebrücke (so ihr offizieller Name) wurde 2017 eröffnet und gilt seither mit einer Länge von beeindruckenden 494 m als längste Fussgänger-Hängebrücke der Welt. Zuvor wurde 2010 bereits einmal eine Brücke eingeweiht – diese fiel aber bereits zwei Monate nach der Eröffnung einem Steinschlag zum Opfer.
Das Terrain am Fusse der Walliser Viertausender ist dann auch definitiv nicht zu unterschätzen. An verschiedenen Stellen entlang des Weges wird auf die Steinschlaggefahr hingewiesen. Dank der neuen Hängebrücke können wir aber zumindest dieses Tobels ausserhalb der Reichweite des losen Gesteins – in luftiger Höhe – überqueren. Und auch wenn ich zuerst strammen Schrittes losmarschiere, überkommt mich in der Mitte der Brücke dann doch noch für einen kurzen Moment ein flaues Gefühl. «Wow, die ist echt lang!» Ja, das ist sie – und daher auch ein echtes Highlight am Europaweg.
Übernachtungsgeheimtipp am Europaweg
Die meisten Fernwanderer planen ihren Zwischenstopp am Europaweg in der Europahütte ein. Diese SAC-Hütte befindet sich rund 30 Gehminuten oberhalb von der Charles Kuonen Hängebrücke. Die Europahütte ist damit zwar praktisch am Weg gelegen und bietet auch eine eindrückliche Sicht aufs Weisshorn, doch der Matterhorn-Blick bleibt einem hier verwehrt.
Mit diesem kann dafür die 300 Meter höher gelegene Kinhütte punkten. Diese befindet sich rund 1.5 Stunden von der Europabrücke entfernt (in Marschrichtung Zermatt) auf 2’584 Meter über Meer am Fusse des Täschhorns. Der Aufstieg erfordert Durchhaltewille (und auch etwas Abgebrühtheit, was abschüssige Partien betrifft), doch der Effort zahlt sich aus.
Hat man die Hütte erreicht, die einem Adlerhorst ähnlich auf einem kleinen Felsvorsprung unterhalb der höchsten Gipfel der Schweizer Alpen thront, öffnet sich ein phänomenaler Panoramablick vom Weisshorn übers Zinalrothorn und Gabelhorn bis zum Matterhorn und dem Monta Rosa Massiv.
Da die Kinhütte eine privat geführte Hütte (nicht SAC-Mitglied) ist und vielen der zusätzliche Aufstieg auf der Karte zu beschwerlich erscheint, findet man hier oft auch an sonst gut gebuchten Wochenenden ein freies Plätzchen. Und auch wenn ich mit keinem Grossandrang gerechnet habe, bin ich dann doch erstaunt, als ich feststelle, dass wir an diesem Freitagabend lediglich zu viert auf der Hütte sind. Netter Nebeneffekt: Dank privat genutztem Schlafsaal kommt der Schlafkomfort nicht zu kurz.
Weiter via Täschalp nach Zermatt
Für den zweiten Wandertag ist ein Wetterwechsel angekündigt. Unklar war im Vorfeld, wann die Wolken aufziehen würden. Wir haben Glück und dürfen zum Tagesstart nochmals das imposante Bergpanorama rund um die Kinhütte – inklusive Farbenspektakel – bewundern. Danach zieht sich der Himmel rasch zu und als wir unsere Rucksäcke schultern und losmarschieren, ist vom Matterhorn nicht mehr viel zu sehen.
Dafür erspähen wir tief unter uns auf dem Edelweissweg, der vom Europaweg im steilen Zickzack hoch zur Kinhütte führt, eine Gruppe Steinböcke. Diese sind oft im felsigen Gelände rund um die Hütte anzutreffen, wie uns Hüttenwart Andreas Arnold am Vorabend verriet. Es lohnt sich daher, den Feldstecher sowie – falls vorhanden – das Telezoom einzupacken. Wir hatten unseres leider zu Hause gelassen und begnügen uns damit, die Tiere aus der Ferne zu beobachten.
Nach einem 45-minütigen Abstieg sind wir zurück auf dem Europaweg und folgen ab nun den Wegweisern Richtung Zermatt. Bei schönem Wetter begleitet einem das Matterhorn hier beinahe auf Schritt und Tritt – was mitunter auch der Grund ist, wieso man den Europaweg in jedem Fall in Marschrichtung Zermatt und nicht in umgekehrte Richtung absolvieren sollte. Aber auch an wolkenverhangenen Tagen hat die abwechslungsreiche Wegführung ihren Reiz. Auf der Täschalp lohnt sich zudem die Einkehr in der «Täschalp Restaurant & Lodge» – der Aprikosenkuchen hat uns hier vorzüglich geschmeckt!
Von der Täschalp bis zur Tufternalp («Tuftra») oberhalb von Zermatt sind nochmals gut 1.5 bis zwei Stunden Gehzeit einzurechnen. Der Weg führt in diesem Abschnitt sehr angenehm mit einigen wenigen Steigungen als Höhenweg taleinwärts. Da ab Höhe «Wenige» der Europaweg sowohl als Wanderweg als auch als Biketrail ausgeschildert ist, solltet ihr euch aufs Kreuzen mit Bikern gefasst machen. Die Trail Tolerance funktioniert auf dieser Strecke eigentlich ganz gut. Da die meisten Biker aber talwärts unterwegs sind (und uns somit entgegenkommen) wird aber automatisch impliziert, dass wir auf die Seite treten, was je nach Anzahl Biker (und insbesondere bei grösseren Gruppen), mit der Zeit doch etwas mühsam wird. Dies variiert aber sicherlich je nach Tageszeit und Wetterverhältnissen.
Bei der Tufterenalp besteht eine weitere Einkehrmöglichkeit. Von hier kann man entweder in 30 Minuten zur Bergstation Sunnegga weiter wandern oder aber auf direktem Weg in gut einer Stunde in den Dorfkern von Zermatt absteigen. Wir entscheiden uns für Letzteres und folgen dem ausgeschilderten Wanderweg durch den lichten Lärchenwald hinunter nach Zermatt. Auch wenn das Wetter an diesem zweiten Tag nicht top war, hat dies das Wanderlebnis nicht getrübt – der Europaweg konnte unseren hohen Erwartungen stand halten und ist sowohl als Zweitageswanderung als auch in Teiletappen aufgeteilt eine lohnenswerte Tour für den Spätsommer.
Praktische Tipps für deine Wanderung entlang dem Europaweg
Erster Wandertag: von Randa via Europabrücke zur Kinhütte
Die erste Etappe startet am Bahnhof Randa. Von hier aus folgt ein knapp zweistündiger Aufstieg bis zur Europabrücke (die sich unweit der Europahütte befindet). Wir folgen hierfür nicht dem klassisch ausgeschilderten Weg zur Europabrücke (da dieser die Brücke von der für uns «falschen» Seite her ansteuert), sondern halten uns rechts. Ab Höhe Europabrücke folgen wir dem Europaweg bis nach Tierfäd. Hier zweigt ein weiss-blau-weiss markierter, sehr steiler, abschüssiger Zustieg zur Kinhütte ab. Zu beachten ist, dass man auf diesem Wegabschnitt punktuell die Hände benötigt und da und dort etwas «kraxeln» gefordert ist (technisch nicht schwierig, aber stotziges, fragiles Gelände). Je nach Steinschlagsituation kann es vorkommen, dass dieser Hüttenzustieg gesperrt wird und der Zustieg nur noch über den «Edelweissweg» (weiss-rot-weiss markierter Bergweg (T3) mit punktuell schmalen und abschüssigen Wegpartien) möglich ist. Egal für welchen Zustieg ihr euch entscheidet, auf den Zeitbedarf/Höhenmeter hat dies keine massgeblichen Auswirkungen. Auf dieser ersten Etappe fallen auf einer Streckenlänge von 6,9 Kilometer rund 1’355 Höhenmeter an. Die reine Wanderzeit beträgt rund 4 Stunden.
Wichtig: wer nicht schwindelfrei ist, der folgt ab Randa den Wegweisern direkt Richtung Kinhütte, so muss die Hängebrücke nicht überquert werden!
Die Kinhütte ist eine privat geführte Hütte, die jeweils von Ende Juni bis Mitte/Ende September geöffnet hat. Die Übernachtung mit Halbpension kostet 73 CHF. Aktuelle Informationen sowie die Kontaktangaben für eine Reservierung findet ihr auf der Website der Kinhütte.
Zweiter Wandertag: von der Kinhütte nach Zermatt
Die zweite Etappe führt uns zuerst von der Kinhütte dem Edelweissweg entlang retour auf den Europaweg. Diesem folgen wir dann bis zur Tufternalp, wo wir nach Zermatt absteigen. Auch diese Etappe beinhaltet Wegpartien mit Steinschlaggefahr – informiert euch am besten vor der Tour auf der offiziellen Website des Europawegs über allfällige Sperrungen von Teilabschnitten. Der zweite Tag wartet auf einer Streckenlänge von 17,5 Kilometer mit 710 Höhenmeter bergwärts und 1’690 Höhenmeter talwärts auf. Die reine Wanderzeit beträgt gut 6 Stunden. Einkehrmöglichkeiten bestehen auf der Täschalp sowie auf der Tufternalp.
Extratipp:
Wenn im Herbst und Frühling die Hütten am Europaweg geschlossen sind, kann man den Abstecher zur Hängebrücke auch als Rundwanderung von Randa aus machen (Zeitbedarf rund vier bis 5 Stunden).
Eckdaten der Tour Randa – Kinhütte – Zermatt
Ausgangspunkt | Bahnhof Randa |
Länge | 24,5 Kilometer |
Höhenmeter | ↗ 2’080 m ↘ 1’86 m |
Dauer | 10:00 h (aufgeteilt in 2 Etappen) |
Zielort | Bahnhof Zermatt |
Oh la la, wirklich tolle Fotos!
Ich weiß nicht, ob ich mich ganz über die Hängebrücke trauen würde oder lieber den Umweg nähme.
Schaukelt es denn arg auf der Brücke?