Das Herz der Medina von Marrakesch pocht auf dem Djemaa el Fna am Intensivsten. Tagsüber scheint das Treiben auf dem zentralen Marktplatz noch übersichtlich. Vereinzelt preisen Markthändler ihre Waren an und Henna-Tattoo-Malerinnen buhlen um die Gunst der Touristinnen. Eine willkommene Erfrischung ist der frisch gepresste Orangensaft, den man auf dem Platz erhält.
Sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, füllt sich der Platz langsam mit Leben. Das allabendliche Spektakel lässt sich am besten von einer der zahlreichen Dachterrassen rund um den Djemaa el Fna beobachten. Den wohl besten Überblick über das Geschehen gibt es von der Terrasse des Le Grand Balcon Café Glacier. Wir steuern das Cafe gegen den frühen Abend an. Den Zutritt verschafft man sich mit dem Kauf eines Minzentees oder eines Soft Getränks. Anschliessend braucht es etwas strategisches Geschick, um einen der begehrten Tische direkt am Geländer zu ergattern. Der Balkon ist auch ein beliebter Stopp von Gästeführern mit grösseren Gruppen. Daher erscheint er auf den ersten Blick meist rappelvoll. Während die Gruppen aber meist schnell zum nächsten Stopp weitereilen, hält sich die Zahl der Gäste, die sich länger auf dem Balkon aufhalten in Grenzen. Nach einer kurzen Wartezeit in der zweiten Tischreihe, schnappen wir uns einen freiwerdenden Ecktisch direkt am Geländer.
Während Marrakesch langsam eindunkelt, beobachten wir das bunte Treiben auf dem Platz. Langweilig wird es uns dabei nicht. Unser Blick springt von Marktfrauen, die sich um den gleichen Marktplatz streiten und handgreiflich werden, zu einer Truppe trommelnder Schwarzafrikaner, die in regelmässigen Abständen mit vorbeilaufenden Touristen für ein Selfie posen, zu einer kreisrunden Menschenansammlung, in der sich ein Boxkampf abspielt zu unterhaltsamen Gauklern… Aus der Vogelperspektive betrachtet, bildet der Djemaa el Fna ein Bild, das eine einzigartige orientalische Atmosphäre ausstrahlt.
Ich hätte dort am Geländer wohl die ganze Nacht fasziniert sitzen bleiben können und es wäre mir nicht langweilig geworden. Das Ganze Treiben wird von einem Stimmengewirr und Musikfetzen aus allen Richtungen untermalt. Sozusagen der Herzschlagrhythmus. Manchmal schneller schlagend, zwischendurch kurz von lauten Rufen unterbrochen und selten – als würde der Platz eine kurze Verschnaufpause benötigen – kaum mehr wahrnehmbar.
Weitere Einblicke und Tipps rund um «den Platz der Toten» gibt es unter anderem bei Good Morning World. Lesenwert ist zudem Elias Canetti’s Reiseaufzeichnung «Die Stimmen von Marrakesch». Das Buch ist eine Sammlung an fragmentischen Erinnerungsstücken und schildert verschiedene atmosphärische Stimmungen der Stadt. In diesem Sinne sind auch meine drei Stunden auf dem Dach vom Le Grad Balcon Café Glacier eine Momentaufnahme des faszinierenden Marrakesch.
Hinweis: Meine Reise nach Marrakesch wurde von La Mamounia unterstützt – Vielen Dank hierfür. Meine Leser dürfen wie immer sicher sein, dass ich hier stets meine Ansichten und Begeisterung vertrete.