Es fühlt sich an wie Heimkommen, als wir in Champéry aus dem Zug steigen. Es gibt wenige Orte, wo ich mich als Stammgast bezeichnen würde – Champéry darf sich zu diesem Kreis zählen. Während der Studienzeiten verbrachten wir hier jeweils zwischen Weihnachten und Neujahr mit Freunden ein paar Tage auf den Skipisten. So gut ich die Pistenkilometer im grenzüberschreitenden Skigebiet Portes du Soleil kenne, so wenig vertraut ist es mir während der Sommermonate. Dann verwandelt sich die Region in ein Paradies für Mountainbiker und Downhiller. Ob hier auch Mountainbike-Anfänger auf den Geschmack kommen, wollen wir an diesem Wochenende herausfinden.
Welcome Back in Champéry
Im Restaurant Vieux Chalet haben wir einige leckere Abende verbracht. Seit unseren letzten Skiferien in Champéry haben die Gastgeber Sophie und Philippe Zurkirchen nicht nur viel Arbeit ins Restaurant, sondern auch in die Weiterentwicklung des dazugehörenden Art.Boutique Hotels Beau-Séjour, das auf eine beinahe 100 jährige Geschichte zurückblickt, gesteckt. 2013 wurde ihr Engagement mit dem «Prix Bienvenue» in der Kategorie der kleinen Ferienhotels gewürdigt. Dass dem Gastgeberpaar Freundlichkeit und Gästewohlbefinden ein grosses Anliegen sind, ist spürbar. Sei es bei der warmen Begrüssung, bei der aufmerksamen Bedienung oder bei den hilfreichen Auskünften an der Rezeption. Auf die Wintersaison 2015/2016 sind direkt oberhalb vom Restaurant im «Vieux Chalet» neue Doppelzimmer und zwei Junior Suiten dazugekommen. Der Stil: Alpenchic gemixt mit originellem Schnickschnack. Wir dürfen in einer der Junior Suite nächtigen, die uns mit ihrem grosszügigen Grundriss und dem Blick auf Dents du Midi und Dents Blanches begeistert.
Und wie es die Tradition will, starten wir unser Wochenende mit einem zünftigen Znacht im Vieux Chalet. Die Spezialität des Hauses: hochwertiges Fleisch vom Holzfeuer. Grillmeister ist Philippe Zurkirchen höchstpersönlich. Hätte ich an diesem Abend Punkte verteilen müssen, hätte das Vieux Chalet einen Extrapunkt in der Kategorie «Präsentation» erhalten. Wir haben diesen Herbst viele Menüs fotografiert. Der schön angerichtete Wildteller im Vieux Chalet gehört zu den Spitzenreiter.
Nichts für Angsthasen – Biken im BikePark Portes du Soleil
Den Samstag starten wir mit einem ausgiebigen Frühstück. Die Energiespeicher müssen gefüllt werden. Uns erwartet ein sportliches Programm. Ich hatte mir für diesen Sommer vorgenommen, einmal eine Biketour zu unternehmen. Und welche Region würde sich da besser eignen, als das Bikeparadies der ersten Stunde Portes du Soleil. Unser Exkurs in die Bike-Welt wäre anfangs September angesetzt gewesen, doch wir erwischten ein total verregnetes Wochenende und verschoben den Aufenthalt aufs Saisonende.
Diesmal ist das Wetterglück auf unserer Seite. Petrus beglückt uns mit strahlendem Sonnenschein. Aufgrund der tiefen Temperaturen ist unsere Biketour aber erst auf den Nachmittag angesetzt und so begeben wir uns am Morgen in gewohnter Wandermontur mit der Seilbahn auf den Croix de Culet. «Lagecheck». Hier oben wir sofort klar, dass die Wanderer erst an zweiter Stelle kommen. Vor lauter Bike-Signalisation finden wir das Wanderwegzeichen erst im zweiten Anlauf. Ist für mich aber absolut okay für eine Bergdestination, die sich diesbezüglich klar positioniert. Ein schmaler Gratpfad führt vom Gipfel Richtung «Sur Cou» in gut zwei Stunden runter nach Champéry. Der Wanderweg ist nichts für Angsthasen. Teilstücke sind abschüssig und steil. Ich hab ein, zweimal leer geschluckt, aber die Aussicht ist derart bombastisch, dass ich mich fürs «durchbeissen» entschied. Etwa auf halben Weg befindet sich ein schön platzierter Picknicktisch mit direktem Blick auf die Dents du Midi.
Marroni zur Stärkung
Der Wanderweg führt uns mit schönstem Blick über das Talende direkt in den Ortskern von Champéry. Dass uns das Wetter im September einen Strich durch die Rechnung machte, war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wären wir damals ins Wallis gereist, hätten wir die «Brisolée Géante» verpasst. Zu früheren Zeiten waren die Kastanien im Wallis als Grundnahrungsmittel weit verbreitet. Auch wenn die Kastanien an Bedeutung verloren haben, wird die Tradition weitergelebt und im Herbst in einzelnen Dörfern gefeiert. So auch in Champéry. Der Anlass findet just an diesem Samstagnachmittag statt und lockt das ganze Dorf auf den Kirchenplatz, wo es herrlich nach gerösteten Marroni duftet. Dazu wird Alpkäse, Trockenfleisch und Roggenbrot serviert und frischer Sauser ausgeschenkt. Für alle, denen das Marroni-Öffnen zu aufwändig ist (ich hatte danach pechschwarze Hände) gibt es als Alternative Raclette (selbstverständlich in echter Walliser-Manier direkt vom Käse abgestrichen ohne Pfännchen oder sonstige Üsserschwiizer Unsitten).
Wir trauen uns – Mountainbiken im Wallis
Die Hände vom Russ gereinigt geht es ans Eingemachte. Ich habe zum Biken ein gespaltenes Verhältnis. Und vor allem wahnsinnig Respekt vor steilen Strecken talwärts. Da ich nicht weiss, was Thierry von Ride Switzerland mit uns vorhat, ist mir mulmig zumute. Die Region Portes du Soleil bietet eine breite Palette an Enduro-Trails und Downhill-Strecken vom Anfänger bis zum totalen Freak.
Damit wir lospedalen können, brauchen wir die entsprechende Ausrüstung. Bike (ein Scott MTB Fully), Helm und Handschuhe erhalten wir im Bikeshop direkt unter der Seilbahnstation. Danach fahren wir mit der Seilbahn hinauf zum Croix de Culet. Von dort folgen wir zuerst der Route 105 nach Les Crosets runter. Obwohl es nur talwärts geht, beschweren sich meine Muskeln nach wenigen Minuten. Der Weg ist teilweise schmal und mit grossen Steinen aufgefüllt. Da ist volle Konzentration gefordert. In Les Crosets folgen wir der Strasse bergwärts Richtung Route 102. Hier kann ich verschnaufen und bin heilfroh, es ohne Sturz geschafft zu haben. Wobei das reine Kopfsache ist, die Strecke ist nicht schwierig.
Der Spass beginnt, als wir die Steigung hinter uns haben und der Route du Lait (101) Richtung Ripaille folgen. Der relativ breite Kiesweg ist ohne Schwierigkeiten zu fahren und die Aussicht gigantisch. Thierry bemerkt, dass wir langsam auf den Geschmack kommen und schlägt spontan noch einen Abstecher nach Barme vor. Die idyllische Hochebene sei einer seiner Lieblingsplätze, erzählt er. Nur die Idylle muss man sich verdienen. Und so kämpfen wir uns nochmals gut 300 Höhenmeter bergwärts. Was mich jedoch noch mehr begeistert, als die Hochebene von Barme, ist die Tatsache, dass ich auf dem steilen Kiesweg von Barme talwärts nach Champéry bereits sattelfester unterwegs bin als auf dem ersten Teilstück. Ich unterdrücke einen Juchzer und folge Thierry flink um die Kurven.
Nach drei Stunden und 22 abgestrampelten Kilometern sind wir zurück in Champéry. Oberschenkel und Po machen deutlich, dass sie diese Art der Bewegung zu wenig kennen. Und der Magen macht deutlich, dass er sich nach diesem sportlichen Tag etwas verdient hat. Der Hunger wird im Alta 1874 gestillt (die Pizza war hier schon gut, als das Restaurant noch einen 80er-Look hatte – die optische Auffrischung ist gelungen und die Pizza immer noch lecker) und dabei werden Pläne für nächste Biketrips geschmiedet.
Keine Sonne – kein Problem
Am nächsten Morgen melden sich bei jedem Schritt die Muskeln klagend zu Wort. Da wandert man Wochenende für Wochenende zig Kilometer problemlos ab, steigt einmal aufs Bike und fühlt sich sofort alt. Zur Lockerung wollten wir eigentlich via Galerie Défago gemütlich zwei Stunden Richtung Val d’Illiez talwärts wandern und im Anschluss im warmen Thermalbadwasser vom «Thermes Parc» entspannen. Der aufkommende Nieselregen dämpfte unsere Wandermotiviation. Wir entscheiden, diesen Part ausfallen zu lassen, und setzen uns in den Zug. Das Thermalbad ist an diesem Sonntagmorgen erwartungsgemäss voll mit Familien. Für eine Runde auf der Sprudelliege ist es dennoch okay. Zu guter Letzt stärken wir uns vor der Heimreise bei Chez Joe. Der Burgerschuppen kannte ich als einziges Restaurant im Dorf noch nicht von unseren früheren Besuchen und es ist der Hammer! Leckere Burger, Frites im Belgischen Stil mit Mayonnaise und eine grosse Bierauswahl. Was will man mehr an einem verregneten Sonntagmittag?
Praktische Tipps für ein Outdoorweekend in Champéry
- Übernachtung mit Frühstück gibt es im Art.Boutique Hotel Beau-Séjour während der Sommersaison ab 155 CHF im Doppelzimmer.
- Champéry hat eine gute Restaurantszene. Neben dem Vieux Chalet und dem Alta mögen wir auch das Restaurant Café du Centre und das Le Nord (das zusätzlich ein neues Gourmet Konzept hat). Generell empfiehlt es sich, zu reservieren.
- Der grenzüberschreitende BikePark Portes du Soleil bietet für Anfänger bis hin zum Profi eine breite Auswahl an Streckenmöglichkeiten. Insgesamt sind es 650 Kilometer markierte Mountainbike Strecken und 21 Liftanlagen, die Verbindungen sicherstellen.
- Wer kein eigenes Mountainbike hat, kann im Bikeshop bei der Seilbahnstation mieten. Die Halbtagesmiete für ein Freeride/Enduro Bike beträgt aktuell 65 CHF.
- Adrenalinjunkies kann ich den Klettersteig Tière empfehlen. Ich habe dieses Mal noch nicht genügend Mut gefasst, möchte ihn aber unbedingt mal machen.
- Wanderer finden in der Hochebene von Barme und rund um die Dents du Midi (wo ein Wanderweg mit 42.5 km Länge rundherum führt) abwechslungsreiche Routenoptionen.
Champéry Tourisme hat uns zu diesem Aufenthalt eingeladen. Vielen Dank hierfür. Wie immer sind alle Eindrücke / Meinungen die unseren.