Wer den Alltag für ein paar Tage so richtig hinter sich lassen und dieses «Abstand gewinnen» auch bei der Anreise in aller Deutlichkeit spüren möchte, der kann entweder in ein Langstrecken-Flugzeug steigen oder – als deutlich nachhaltigere Alternative – mit dem öffentlichen Verkehr nach Campo – einem Seitental des Maggiatals – reisen. Wir haben uns im September auf Erkundungstour durch die abgelegene Tallandschaft begeben und nicht nur eine grandiose – und nahezu menschenleere – Bergwelt angetroffen, sondern auch ein Rückzugsort für Geniesserinnen und Geniesser gefunden. Und das Beste: Die Saison dauert hier länger als anderswo. Im Maggiatal lässt sich der Herbst nämlich bis in den November hinein auskosten.
Ein Hideaway im hintersten Winkel des Maggiatals
Ich kann nicht mehr rekonstruieren, wo ich zum ersten Mal über die Locanda Fior di Campo «gestolpert» bin. Ich weiss aber noch, wie ich den Ort zum ersten Mal googelte und feststellte, dass die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr ab Zürich rund 4.5 Stunden in Anspruch nimmt und es gerade mal ein Zeitfenster pro Tag für die Anreise gibt. Irgendwie hat sich dieser spezielle Ort erfolgreich in meinem Gedächtnis eingenistet, und als ich diesen Frühling meine Liste mit empfehlenswerten Hotels und Herbergen zusammenstellte, ploppte die Locanda Fior di Campo wieder auf meinem Radar auf und ergatterte sich einen Platz auf der Bucket List.
Ende August führte uns dann die Tour entlang dem Sentiero Cristallina ins Val Bavona im hinteren Maggiatal. Wir nutzten diese Gelegenheit und kombinierten die Mehrtageswanderung mit einem dreitägigen Abstecher nach Campo. Quasi zuerst die Pflicht, dann Kür. Wobei man sich rund um Campo natürlich auch problemlos die Füsse wund laufen kann. Die Wanderoptionen sind vielfältig und die Begegnungen mit Mitwanderern auf fast allen Routen rar. Doch dazu später mehr. Zuerst ein paar Worte zur Locanda Fior di Campo.
Das stattliche Gebäude mitten im locker bebauten Dorfkern von Campo hat eine lange Tradition als Gaststätte und Beherbergungsbetrieb. Vincenzo Pedrazzini, Politiker, Unternehmer und Bürger von Campo, übernahm den Betrieb mit dem Ziel, einen Platz für Ruhesuchende zu schaffen und gleichzeitig den Tourismus im Tal zu stärken. In den letzten Jahren hat er die einstige Gaststätte zu einem Boutique Hotel mit hervorragendem Restaurant weiterentwickelt. Uns hat hier insbesondere die grosszügige Restaurantterrasse, das tolle Essen und die spannende (und vor allem sehr fair bepreiste) Weinkarte begeistert. Meine intensivsten und entspanntesten Erinnerungen an die diesjährigen Ferien sind sehr stark mit diesen lauen Augustabenden in Campo verknüpft; ein Glas Merlot, Grillenzirpen und der Duft nach frisch gemähtem Gras. Der perfekte Ort, um ein paar Tage ganz bewusst einen Gang runter zu schalten.
Schöne Wanderung im Maggiatal: Lago Gelato & Lago dei Pozzöi
Das Schöne an einer Auszeit in Campo ist, dass einem hier die perfekte Mischung aus Ruhe, Genuss und Bewegung geboten wird. Die Wandermöglichkeiten sind vielfältig und ich tat mich schwer bei der Auswahl. Wer etwas anspruchsvollere Touren unternehmen möchte, die teils in Nachbardörfern starten und über Passübergänge in weitere – ähnlich abgelegene – Seitentäler des Maggiatals führen, der sollte im Vorfeld zwingend den Postautofahrplan konsultieren. Ansonsten riskiert man, irgendwo zu stranden.
Zwei empfehlenswerte Tagestouren, die sich vom Nachbardorf Cimalmotto aus als Streckenwanderungen durchführen lassen (und die man im «Notfall» auch direkt von Campo aus in Angriff nehmen könnte), führen dem Ri di Sfii entlang durch einen schönen Lärchenwald zur Alpe di Sfii. Dort hat man dann die Qual der Wahl. Entweder steuert man den Lago di Sfii auf der linken Talseite an oder man steigt rechterhand über die Alpweiden zum Lago dei Pozzöi/Lago Gelato (je nach Lust, Laune und Tagesform) auf. Wir haben uns für die Variante Lago Gelato/Lago dei Pozzöi entschieden und die beiden Bergseen ganz für uns allein genossen. Während sich der Lago Gelato oberhalb der Baumgrenze befindet, ist der Lago dei Pozzöi von Lärchen umrahmt und gibt daher bestimmt auch im Herbst ein schönes Fotomotiv ab.
Der Rückweg verläuft über denselben Weg wie der Hinweg. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass auf den letzten zwei Kilometern nochmals gut 120 Höhenmeter anfallen um von der Talsohle des Rio Rovana hinauf nach Cimalmotto zu gelangen. Wer hier keine Lust hat, auf die Postautoverbindung zurück nach Campo Paese zu warten, der folgt einfach der Strasse talwärts und ist in 15 Minuten retour in der Locanda Fior di Campo. Und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie herrlich sich nach dieser Tour ein Schluck vom einem kühl gestellten Gazosa anfühlt!
Eckdaten der Tour Cimalmotto – Alpe di Sfii – Lago Gelato
Nachfolgende Karte zeigt euch den Routenverlauf der Wanderung von Cimalmotto via Alpe di Sfii zum Lago Gelato. Es handelt sich um einen Bergweg der Schwierigkeit T2, der einfach zu begehen ist und keine abschüssigen Stellen beinhaltet. Die Herausforderung liegt hier in der Distanz/der Höhenmeter – der Weg von Cimalmotto ins Tal und retour zieht sich.
Ausgangspunkt | Postautohaltestelle Cimalmotto |
Länge | 15,3 Kilometer |
Höhenmeter | ↗ 1’135 m ↘ 1’135 m |
Dauer | 6:00 h |
Zielort | Postautohaltestelle Cimalmotto |
Wanderung über den Passo Quadrella nach Bosco Gurin
Ein Aufenthalt in Campo ist auch ein guter Grund, endlich mal Bosco Gurin zu besichtigen. Bosco Gurin ist nicht nur das höchstgelegene Dorf des Tessins, sondern auch das einzige deutschsprachige. Im 13. Jahrhundert wanderten die Walser vom Wallis via Val Formazza und über das Guriner Furggli in dieses Hochtal ein und liessen sich hier nieder. Die Traditionen, Bauweise und Sprache der Walser konnten sich über all die Jahrhunderte halten und noch heute sprechen alteingesessene Dorfbewohner “Ggurijnartitsch” im Alltag. Bosco Gurin ist im Gegensatz zu Campo ein deutlich bekanntes Ausflugs- und Ferienziel im Tessin – aber die Anreise zieht sich ähnlich in die Länge und daher lohnt es sich, den Besuch der beiden Täler zu verbinden.
Von Campo aus führen zwei Passübergänge nach Bosco Gurin. Die Route über den Pian Crosc bildet dabei die direkteste Verbindung. Auf dieser Route erreicht man Bosco Gurin mit einer gut dreistündigen Wanderung.
Die zweite Route führt über Cimalmotto und steigt dort durch einen locker bestockten Lärchenwald zur Alpe die Quadrella und weiter bis zum Passo Quadrello hoch. Auf dieser Tour geniesst man den Tiefblick auf Bosco Gurin und hat gleichzeitig die Möglichkeit, eine Panoramaschlaufe über die Grossalp einzulegen. Aus diesem Grund haben wir uns für diese Route entschieden und die Wahl auch keine Minute bereut. Von Cimalmotto führt ein sehr angenehm zu gehender Waldpfad bis zum Passo Quadrello hoch. Beim Blick über den weitläufigen Lärchenwald bedaure ich etwas, dass erst Ende August ist. Man stelle sich dieselbe Landschaft an einem sonnigen Oktobertag vor… «Wow»!
Aber auch so ist das Panorama beeindruckend. Auch auf dieser Route begegnet uns bis zur Grossalp keine Menschenseele. Im Gegensatz zur ersten Wanderung müssen wir uns hier aber nicht bis zum Ziel gedulden, bis wir unseren Durst mit einem erfrischen Gazosa stillen können. Der Wanderweg führt an der Capanna Grossalp vorbei, wo sich eine Einkehr lohnt. Hier mit Blick auf das Walserdorf unten im Tal kann man auch gut länger verweilen und die Zeit so timen, dass man die verbleibende Wanderzeit bis in den Dorfkern von Bosco Gurin auf die Abfahrtszeit des Postautos abstimmt. Ansonsten lässt sich die verbleibende Zeit auch mit einem Besuch im Walsermuseum (jeweils Dienstag bis Samstag geöffnet) überbrücken.
Eckdaten der Wanderung Cimalmotto – Passo Quadrello – Bosco Gurin
Nachfolgende Karte zeigt euch den Routenverlauf der Wanderung von Cimalmotto über den Passo Quadrello ins Walserdorf Bosco Gurin. Es handelt sich um einen Bergweg der Schwierigkeit T2, der einfach zu begehen ist und keine abschüssigen Stellen beinhaltet.
Ausgangspunkt | Postautohaltestelle Cimalmotto |
Länge | 9.8 Kilometer |
Höhenmeter | ↗ 950 m ↘ 830 m |
Dauer | 4:15 h |
Zielort | Postautohaltestelle Bosco Gurin, Paese |
Praktische Tipps für deine Auszeit rund um Campo
- Die Zimmerpreise in der Locanda Fior die Campo starten bei 210 CHF pro Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück. Die begehrtesten (und auch schönsten) Zimmer sind die Doppelzimmer mit Balkon (die waren leider bei unserem Besuch schon ausgebucht).
- Die Locanda verfügt auch über einen Private Spa Bereich mit Sauna. Bei entsprechender Reservation steht einem der Spa exklusiv zur Verfügung.
- Die Zimmerbuchung erfolgt ausschliesslich via E-Mail. Das funktioniert zwar gut, aber ist etwas ungünstig, wenn man im Vorfeld herausfinden möchte, wann welche Verfügbarkeiten bestehen.
- Plant unbedingt auch ein Abendessen in der Locanda ein – die Karte ist so gestaltet, dass man bei einem zwei- bis dreitägigen Aufenthalt auch gut an jedem Abend vor Ort essen kann (es gibt auch nicht wirklich andere Optionen in Fussdistanz). Vom Frühstück sollte man hingegen keine all zu grossen Erwartungen haben – das ist klassisch italienisch gehalten.
- Die Anreise mit dem öffentlichen Verkehr führt über Locarno, Cevio und Cerentino und ist so ausgelegt, dass man kurz nach 16:00 Uhr am Ziel ist (aufgrund von nur zwei, bzw. je nach Wochentag drei Verbindungen pro Tag ist eine frühere Ankunft am Anreisetag nicht möglich).
- Da der Postautobetrieb zwischen Cerentino und Campo gleichzeitig auch eine Postverteilfunktion übernimmt, ergeben sich je nach Tageszeit und Wochentag für die Fahrstrecke Campo – Cimalmotto Verspätungen. Wundert euch also nicht, wenn ihr pünktlich an der Postautohaltestelle steht und dann noch bis zu 15 Minuten auf den Bus warten müsst (es gibt aber leider auch keine Garantie auf Verspätung).
- Ein Abstecher in diesen Ecken des Maggiatals lohnt sich nicht nur in der Sommersaison. Im Winter kann man rund um Campo schöne Schneeschuhtouren unternehmen oder einen Abstecher auf die Skipisten von Bosco Gurin unternehmen (wobei man die Anfahrt von Campo nach Bosco Gurin ebenfalls nicht unterschätzten sollte – die dauert fast so lange, wie zu Fuss über die alten Saumwege)
Hej Anita. Super Tipp für die Auszeit! Vielen Dank dafür:-) Locanda Fior di Campo ist sehr empfehlenswert und der perfekte Ort um dem Alltag zu entfliehen. Ohne deinen Blog wäre ich am Geburiausflug mit meiner Frau nicht hier gelandet. Auch für Höhenempfindliche wie mich gibt es hier viele Abenteuer und wunderschöne Natur.
Dank deiner Homepage kann ich in der Schweiz weitere Juwelen entdecken. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Ausflug.
Lieber Raymond herzlichen Dank für dein Feedback. Freut mich sehr, dass euch Campo so gut gefallen hat :)