„Heute bin ich super vorbereitet, gell?“, meine ich zum Freund, während wir mit dem Postauto in beeindruckender Präzision entlang der Haarnadelkurven durch den Malcantone zirkulieren. Für meine Verhältnisse habe ich mich tatsächlich vorbildlich vorbereitet. Ich habe mir rausgesucht, welches Postauto von Cademario – unser Ausgangspunkt – nach Breno fährt und habe mir einen Kartenausschnitt inklusiv eingezeichneter geplanter Wanderroute ausgedruckt. Just in dem Moment meldet der Monitor „Nächster Halt Breno, Crocevia“. „Müssen wir da aussteigen?“, fragt der Freund. „Nein, erst bei Paese“, antworte ich altklug. Ich bin ja schliesslich vorbereitet. Falsch gedacht! Statt nach rechts in Richtung Breno Dorf biegt das Postauto nach links Richtung Miglieglia ab. Was soll das?! Ich fluche und drücke den Halteknopf. Der nächste Stopp ist Cassinelle, das sich einige Höhenmeter unterhalb von Breno befindet. „Va bene?“, fragt uns der Postautochauffeur. Eigentlich nein, aber er kann ja auch nichts dafür, dass ich automatisch davon ausgegangen bin, dass Postautos, die bei „Breno“ vorbeifahren automatisch auch ins Dorf hochfahren.
So beginnt unsere Wanderung durch den Malcantone unerwartet anders als geplant. Eigentlich passend zur Region, die weder Fisch noch Vogel ist. Der Malcantone bildet einen ganz eigenen Landschaftsraum, weder Berg noch Hochebene, zieht sich die sanft geschwungene Hügellandschaft von Agno am Luganersee zum Monte Lema hinauf. Woher der Name der Region genau stammt, ist nicht vollumfänglich geklärt. Vielleicht rührt er daher, weil sich hier aufgrund der nah gelegenen italienischen Grenze immer mal wieder Räuber, Schmuggler und andere zwiespältige Gestalten aufgehalten und Unterschlupf gefunden haben. Eine weitere Besonderheit sind die ausgedehnten Kastanienwälder. Früher bildeten die Kastanien das Grundnahrungsmittel der Tessiner Bevölkerung. Den Kastanien ist hier auch ein Themenweg gewidmet. Auf einer Länge von rund 11 Kilometern führt der Sentiero del Castagno – Kastanienweg – vorbei an idyllischen Dörfern des Alto Malcantone und durch die Kastanien- und Birkenwälder. Auch wir wollen einen Teil des Kastanienwegs erwandern, aber dafür müssen wir zuerst einmal von unserem unerwarteten Ausgangspunkt nach Fescoggia gelangen.
Verwunschene Kastanienhaine
Zum Glück ist der Malcantone mit zahlreichen Wanderwegen durchzogen – was teilweise auch sehr verwirrend sein kann. So gelangen wir mit einem kurzen Schlenker und tollen Blick auf den Monte Lema in den Dorfkern von Breno. Von hier bis Fescoggia folgen wir rund einem Kilometer der wenig befahrenen Teerstrasse. Nach rund 45 Minuten erreichen wir die Abzweigung zum Kastanienweg. Ab hier führt der Wanderweg auf gekiesten Wegen in einem sanften auf und ab durch lauschige Kastanienhaine und bietet schöne Blicke auf die Dörfer Vezio und Mugena.
Postkartenausblicke entlang des Kastanienwegs
Auch mit kitschigen Postkartenausblicken wird entlang des Wegrandes nicht gegeizt. Sowieso das Tessin macht seinem Namen an diesem Tag alle Ehre und erfreut uns mit einem wolkenlos blauen Himmel. Da sind wir beinahe froh, dass der Wanderweg oft im Schatten der knorrigen Kastanienbäume verläuft.
Idyllische Tessiner Dörfer
Nachdem wir das hübsche Mugena durchquert haben, führt der Weg wenig spektakulär durch Wohngebiete nach Arosio. Hier passiert uns das zweite Malheur. Eigentlich wollten wir dem Wanderweg bis hinunter zur Ebene folgen und danach Richtung Cademario abbiegen. Die Wegweiser sind in Arosio aber etwas verwirrend angebracht und so folgen wir fälschlicherweise dem Pfad zum Grotto Sgambada, das eigentlich der Ausgangspunkt für den Kastanienweg bildet, aber nicht direkt am Weg liegt. Kurz verlieren wir die Orientierung und beschliessen, der Karte nicht weiter zu trauen, sondern den Wegweiser zu folgen, die uns sicher nach Cademario zurückbringen.
Insgesamt eine erholsame Wanderung durch eine interessante Kulturlandschaft. Einziges Problem sind die sehr vielen Wanderschilder und Abzweigungen, die manchmal eher verwirren, statt unterstützen.
Wanderkarte für den Kastanienweg im Malcantone im Tessin
Die Karte zeigt unseren Routenverlauf. Die Strecke ist rund 13,8 km lang und beinhaltet eine Steigung von 600 Höhenmetern und ein Gefälle von rund 490 Höhenmetern. Die reine Laufzeit beträgt rund 3.5 Stunden. Breno und Cademario sind mit dem Postauto ab Lugano erreichbar (fährt ca. alle zwei Stunden). Wir haben das Postauto Nr. 427 ab Cademario genommen. Es wird empfohlen, den klassischen Sentiero del Castagno in Arosio zu starten.
Ausgangspunkt | Miglieglia, Cassinelle |
Länge | 13,8 Kilometer |
Höhenmeter | ↗ 600 m ↘ 490 m |
Dauer | 2:30 h |
Zielort | Cademario, Lisone |
Wieder ein Beweis dafür, wie wunderschön die Schweiz ist. Abgesehen von den ganzen üblichen Bergpanoramen ist das hier noch mal etwas völlig anderes. Mediterran – herbstlich – einfach schön! Wie lange fährt man von Lugano dorthin?
Ja, das stimmt. Ich staune auch selbst immer wieder wie vielfältig unser kleines Land ist :) Der schnellste Weg führt von Lugano mit der S-Bahn (S10) nach Lamone-Cadempino und von dort mit dem Postauto (423) bis Arosio – Zeitbedarf ab Lugano: 30min. Mit dem Auto dauert’s ca. genauso lang.
Ich kann mich nur Anke anschließen! Mal eine etwas andere «Aussicht»
Wie sind denn die Abstellmöglichkeiten für den wagen?
Danke Mark. Also in der Schweiz bin ich eigentlich nie mit dem PKW unterwegs… in Arosio sind wir aber an einem Parkplatz vorbeigewandert – ob der mit oder ohne Gebühren ist, kann ich dir leider nicht sagen.
deine Postkartenausblicke sind wiedermal wirklich traumhaft.
Hallo Anita,
Ein grosses Kompliment für deinen sehr gelungenen Artikel, und natürlich für die wunderschönen Bilder! Bravissima!
Saluti aus dem Tessin
Vielen Dank Laura :)
Wirklich traumhaft schöne Aufnahmen.
Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah ;)
Genau :)
Tolle Fotos. Seit sehr langer Zeit wollte ich schon den Kastanienweg begehen. Vielen Dank für die Info zum Routenverlauf.
Oktober ist im Tessin nicht nur der Monat des Wildes aber auch der Kastanien. Dieses Jahr ist der Herbst besonders schön, dank dem vielen guten Wetter. Saluti dal Ticino!
Danke Ingrid :)