Nach dem Abstecher ins Val da Camp zum prächtigen Lagh da Saoseo führte uns der zweite Teil unseres Wanderweekends im Puschlav zu einem Ort, der schon länger auf meiner Bucket List steht. Das Rifugio Alpe San Romerio, das wie ein Adlerhorst auf einer Geländeterrasse hoch über dem Lago di Poschiavo thront, ist eine der spektakulärsten und gleichzeitig eine der urigsten Übernachtungsorte im Tal. Gastgeber Gino Bongulielmi wirkt hier seit 1989 und hat San Romerio in den vergangenen 30 Jahren zu einem Refugium für Naturliebhaberinnen gemacht. Hier oben erlebt man effektiv 100% Val Poschiavo!
Wir kombinierten den Zwischenstopp auf der Alpe San Romerio mit einer Zweitageswanderung auf der ViaValtellina. Wanderspass und Genuss sind bei dieser Tour garantiert.
Die ViaValtellina im Überblick
Die ViaValtellina (Routennummer 30) ist ein Fernwanderweg, der von Gargellen (Österreich) nach Tirano (Italien) führt. Die Route folgt dabei alten Säumerpfaden zwischen Vorarlberg und dem Veltlin in Oberitalien. Die Route ist in sieben Etappen mit total 135 Wegstrecke aufgeteilt. Die zwei letzten Etappen führen von der Alp Grüm über Poschiavo und San Romerio in der Längsrichtung durchs Puschlav ans Ziel im Veltlin – Tirano. Eine ideale Route also, um unterwegs die ganze Vielfalt und kulturellen Besonderheiten des Bündner Südtals zu erleben.
Tag 1: von Poschiavo nach San Romerio
Wir starten den ersten Wandertag nicht auf der Alp Grüm, sondern vom Val da Camp herkommend unten im Talboden im Städtchen Poschiavo. Wir sind am frühen Morgen im Rifugio di Saoseo gestartet. Sind von dort eine Stunde zur Bushaltestelle Sfazù gewandert und haben dort den Bus nach Poschiavo genommen. Während der tief eingeschnittene Talboden des Puschlavs mit dem fortschreitenden Herbst immer weniger Sonnenstunden abbekommt, gibt es ein Plätzchen im historischen Ortskern, der selbst in der zweiten Oktoberhälfte pünktlich zur «Kafipause» mit Sonne punktet: die Terrasse des Hotels Albrici auf der Piazza Communale. Und genau hier genehmigen wir uns vor dem nun anstehenden Aufstieg zur Alpe San Romerio ein «cappuccino e croissant» und geniessen die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht. Herrlich!
Danach folgen wir der ausgeschilderten ViaValtellina in südlich Richtung. Bis zum Ortsteil «Cologna» folgt der Weg einem Teersträsschen, danach zweigt er auf einen Naturpfad ab und führt der östlichen Talflanke entlang immer weiter in die Anhöhen hinauf. Bewaldete Abschnitte wechseln sich mit offenen Lichtungen ab und garantieren immer mal wieder schöne Panoramablicke über den Talboden bis zu den Gipfelspitzen der gegenüberliegenden Talseite.
Nach knapp vier Stunden Gehzeit erhaschen wir den ersten Blick auf das pittoreske Kirchlein von San Romerio. Die Geschichte der Kirche von San Romerio lässt sich bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen. Die erste urkundliche Erwähnung datiert auf das Jahr 1154 und man weiss auch, dass sie den Geistlichen vom Veltlin lange Zeit als Sommerstation diente. Dieser geschichtsträchtige Kraftort ist aber nicht der alleinige Grund, wieso San Romerio ein wirklich besonderer Ort ist. Auch Gastgeber Gino trägt mit seiner herzlichen Art massgeblich dazu bei. Ganz in seinem Sinn geniessen wir den Rest des Nachmittags das feine Essen und das Dolcefarniente hier oben fernab jeglicher Alltagssorgen.
Tag 2: von San Romerio nach Tirano
Pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages schultern wir erneut unsere Rucksäcke und nehmen die verbleibenden Kilometer bis nach Tirano in Angriff. Zwischen der Alpe San Romerio und Viano führt die ViaValtellina abschnittsweise über Teersträsschen. Diese möchten wir möglichst umgehen und halten uns daher bei den ersten Abzweigungen linkerhand und bleiben damit etwas länger in den Anhöhen – können so aber auch länger auf Wald- und Wiesenwegen wandern. Alternativ bestünde die Möglichkeit, direkt bei der Alpe San Romerio Richtung Predusin aufzusteigen und damit einen panoramareichen «Bogenschlag» nach Salina zu unternehmen. Der Nachteil dieser Routenvariante ist, dass im Anschluss noch deutlich mehr Höhenmeter talwärts zu bewältigen sind (was empfindliche Knie nicht besonders freut).
Bei la Dogana kommen alle Wegvarianten wieder zusammen und führen von dort durch dichte – und im Herbst prächtig gefärbte – Kastanienwälder. Nach dem Weiler Roncaiola beginnt der Abstieg durch Rebberge mitten in den historischen Kern von Tirano.
Mit dem Bernina Express heimwärts
Unser Timing ist so gut, dass wir pünktlich zum Mittagessen in Tirano eintreffen. Ein passendes Lokal für eine Zwischenstärkung vor der Heimfahrt ist schnell gefunden: die Antica Osteria dell’Angelo. Etwas abseits vom eigentlichen Hauptplatz im Zentrum, um das sich die klassischen Touristenlokale gruppieren, in einem schönen Innenhof gelegen, punktet sie bei uns sowohl mit der Auswahl an lokalen Spezialitäten als auch mit der hervorragenden Pizza-Qualität.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Wanderzielen ist in Tirano nicht einfach «Schluss», sondern es erwartet uns ein weiteres Highlight. Bei der Heimreise mit dem Bernina Express über die Unesco-Welterbe-Strecke der Rhätischen Bahn können wir uns nämlich nochmals in aller Ruhe und vor allem – ausgiebig – an der vorbeiziehenden, traumhafte Herbstkulisse des Puschlavs und des Engadins erfreuen.
Praktische Tipps für deine Mehrtageswanderung auf der ViaValtellina
In nachfolgender Karte ist der Routenverlauf unserer Tour abgebildet. Wir starteten die Zweitageswanderung in Poschiavo. Von dort steigt der Weg am ersten Tag bis auf Höhe Val da Terman kontinuierlich rund 1’120 Höhenmeter an. Die letzten 2 Kilometer (von den total rund 10 Kilometer am ersten Tag) bis zur Alpe San Romerio verlaufen dann etwas entspannter in einem lockeren Auf und Ab. Am zweiten Wandertag sind 1’500 Höhenmeter talwärts zu überwinden. Diese verteilen sich aber auf 11 Wegkilometer und sind dementsprechend recht erträglich. Das letzte Teilstück hinunter nach Tirano ist dabei der steilste Part. Es handelt sich durchgehend um einen Wanderweg der Schwierigkeit T2. Da doch einige Höhenmeter zu bewältigen sind, empfiehlt sich eine gewisse Grundkondition/Durchhaltevermögen. Beachtet, dass unterwegs keine Einkehrmöglichkeiten bestehen (mit Ausnahme der Alpe San Romerio, wo natürlich auch Tagesgäste willkommen sind und mit feinen lokalen Produkten verköstigt werden).
Das Rifugio Alpe San Romerio hat von Anfang Mai bis Ende Oktober Saison (im Winter geschlossen). Es gibt ein Matratzenlager sowie auch Doppel- und Mehrbettzimmer mit Etagendusche/WC. Auf der Alpe San Romerio werden auch Yoga Retreats durchgeführt. Für aktuelle Angebote und Preisinformationen konsultiert ihr am Besten die Website: San Romerio
Eckdaten der Tour Poschiavo – San Romerio – Tirano
Ausgangspunkt | Bushaltestelle Poschiavo, Curtinell (oder Bahnhof) |
Länge | 23 Kilometer |
Höhenmeter | ↗ 1’220 m ↘ 1’800 m |
Dauer | 8:15 h (aufgeteilt auf 2 Tage) |
Zielort | Bahnhof Tirano (IT) |
Wandern und Eisenbahn, bei dieser Kombination schlägt mein Herz höher!