Ein Trekking in Usbekistan? Ist das Landschaftsbild dort nicht reizlos und langweilig? Und ist es nicht sowieso viel zu heiss?
Ich finde es immer wieder interessant, welche Klischees sich in unseren Köpfen einnisten und wie die Realität davon abweicht. Als ich mich während der Planung unserer grossen Reise mit Trekkingmöglichkeiten in Zentralasien auseinandersetzte, dachte ich in erster Linie an ein Trekking in Kirgistan. Bald stellte ich jedoch fest, dass wir mit unserem Reisezeitpunkt anfangs Juni zu früh dran sind. Somit musste eine Alternative her und die fand ich im Chimgan-Gebirge im nordöstlichen Zipfel von Usbekistan. Was wir dort vorfanden, war alles andere als eintönig; lauschig grüne Täler, glasklare Bergbäche, rötlich schimmernde Tonerde, schroffe Felsen und gelb leuchtender Riesenfenchel. Und wer hätte es gedacht – während wir auf unserem Trekking in Patagonien vom Regen verschont blieben, musste ich in Usbekistan tatsächlich die Regenhülle für meinen Rucksack hervorkramen.
Usbekistan war die letzte Etappe unserer sechsmonatigen Reise, und während wir für Kirgistan lediglich 5 Tage und Kasachstan 7 Tage eingeplant hatten, kalkulierten wir für Usbekistan insgesamt 20 Tage ein. Beim Reiseprogramm inspirierten wir uns bei unserem Reisepartner Globotrek, der uns bereits beim Cerro Castillo Trek in Patagonien bei der Planung unterstützte, und buchten mit leichten Modifikationen das ab zwei Personen individuell buchbare Angebot «die goldene Strasse nach Samarkand». Eine Rundreise, die eine schöne Kombination aus Naturerlebnissen im Chimgan-Gebirge sowie den Nurata Bergen und kulturellen Erlebnissen in den Städten Samarkand, Buchara und Chiwa bietet. Da es mir jedoch ein Ding der Unmöglichkeit scheint, 20 vollgepackte Reisetage in einen Blogpost zu packen, konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf die ersten sechs Reisetage fernab jeglicher Grossstadthektik in den Tallandschaften rund um den Ugam-Chatkal National Park in den Westausläufern des Tianshangebirges.
Tag 1: Fahrt zum Charvak-See
«Die 100 Kilometer können wir auch sinnvoll nutzen», dachte sich unser Fahrer – ein sympathischer Choresmier, der zu unserer Überraschung Französisch beherrscht – und uns mit seinem zwölfjährigen Sohn im Auto empfängt. Ich bin zuerst irritiert, bis ich realisiere, dass unser Fahrer seinem Sohn damit die Chance bietet, mit uns sein Schulenglisch zu trainieren. Und so vergehen die knapp zwei Stunden Fahrzeit von der usbekischen Hauptstadt Tashkent bis zum Ausgangspunkt unseres Trekkings am Charvak-See wie im Flug. Doch vorerst müssen wir noch nicht auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten. Bevor das Trekking startet, übernachten wir noch einmal in einem komfortablen Hotelbett am Ufer des Charvak-Sees.
Tag 2: Auf ins Nurekata-Tal
Pünktlich um neun Uhr in der Früh erwartet uns unser Reiseleiter und Übersetzer für die anstehenden Trekkingtage vor dem Hotel. Ob er unsere Schlafsäcke und Mätteli dabeihat, will ich als Erstes von ihm wissen. In der Regel bringt man bei diesem Trekking Schlafsack und Isomatte selbst mit. Da ich aber meinen Daunenschlafsack nicht sechs Monate mitschleppen wollte, hatten wir im Vorfeld die Mietmöglichkeiten abgeklärt. «Der Bergführer hat alles eingepackt», beruhigt mich Ulugbek. Wir fahren dem Aksay Fluss folgend ein kurzes Stück taleinwärts, bis wir den Wintersportort «Chimgan» erreichen. Von karger Landschaft weit und breit keine Spur – die Hügelzüge sind von einem saftigen Grün überzogen und weiter oben sichte ich vereinzelte Schneefelder.
Hier oben treffen wir auf den Rest unserer Begleitmannschaft. Nebst dem deutschsprachigen Reiseleiter Ulugbek sind dies ein lokaler Bergführer sowie zwei Eseltreiber, die für den Materialtransport zuständig sind. Etwas konsterniert stellen diese fest, dass wir mit verhältnismässig leichtem Gepäck unterwegs sind und wir kaum Packmaterial für die Esel haben. Ich hingegen muss mich noch an den Gedanken gewöhnen, dass uns die nächsten 5 Tage vier Personen umsorgen werden. Doch schon auf den ersten Kilometern stellen wir fest, dass eine lokale Begleitung durchaus sinnvoll ist. Die Wege sind hier nämlich nicht ausgeschildert und auch nicht dezent markiert (im Gegensatz zum Cerro Castillo Trek).
Am ersten Trekkingtag müssen wir zwei «Pässe» – den Urta-Kumbel und den Chet-Kumbel – überwinden und erreichen nach knapp vier Stunden Wanderzeit (inklusive Mittagsrast) den schön gelegenen Lagerplatz am Ufer des Nurekatasay. Offizielle Zeltplätze gibt es keine und es gilt, wer früher da ist, dem gehört der Platz. Die Schafe und Esel, die dort weiden, stört dies nicht. Die Gruppe Soldaten, die kurz nach unserem Zeltaufbau eintrifft schon eher. Nach einer kurzen Diskussion zotteln sie weiter.
Tag 3: Rundtour über den Mirzabay-Pass
Trotz ultradünner Isomatten (ja es lohnt sich, das eigene Material mitzunehmen) schlafe ich überraschend gut und bin gespannt, wohin uns die heutige Tour führt. Ulugbek hat am Vortag vage auf eine entfernte Gipfelspitze gezeigt und gemeint «wenn es Morgen nicht regnet, wandern wir dort hinauf». Das Wetter macht an diesem Morgen einen ordentlichen Eindruck und kurz vor neun Uhr starten wir die Tour. Das Zeltlager müssen wir nicht abbrechen, da wir zu diesem Lagerplatz zurückkehren werden.
Wir folgen zuerst einem schmalen Pfad bis zum Talende und kraxeln danach einen steil ansteigenden Hang hinauf. Während ich bei Steilpassagen in der Regel gemächlich aber stetig voranschreite, eilt unser Bergführer in forschem Tempo voraus und macht dafür immer mal wieder einen längeren Stopp. Nun ja… da müssen wir uns noch finden. Nach gut zwei Stunden erreichen wir die Passhöhe, die uns am Vortag in weiter Ferne schien, breiten unsere Picknickdecke aus und beobachten fasziniert die Pferdeherde, die hier oben ebenfalls rastet.
Die Rundwanderung über den Mirzabay-Pass führt uns im Anschluss dem Grat entlang zurück ins Nurekata-Tal. Nach gut 5.5 Stunden Wanderzeit sind wir zurück im Zeltlager. Zum Glück habe ich mein Bikini eingepackt – einem kurzen Erfrischungsbad im Bergbach steht somit nichts im Weg.
Tag 4: Wanderung zum Kumbel-Pass
Heute müssen wir Abschied von unserem schön gelegenen Zeltplatz nehmen. Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen zusammen und bringen das Material zu den Eselführern. Danach folgen wir einem alten Säumerpfad hinauf zum Tschetkumbel-Pass, wo es rund 20’000 Jahre alte Felszeichnungen mit Jagdszenen zu besichtigen gibt. Die Wanderungen zu den Felszeichnungen auf dem Tschetkumbel-Pass ist auch als Tageswanderung ab Beldersoy machbar. Theoretisch gäbe es einen Sessellift, um einen Teil der Höhenmeter zu überwinden – aber die Sommerbetriebszeiten sind unbeständig – gemäss Aussage unseres Guides ist der Sessellift an den Wochenenden in Betrieb.
Unser wortkarge, aber sympathische Bergführer, der Freund und ich kommen beim Aufstieg zum Tschetkumbel-Pass zügig voran. Ulugbek hingegen kämpft mit jedem Meter und lässt uns schliesslich voraus marschieren. Er hat uns am Vorabend erzählt, dass er zum ersten Mal den Ramadan durchzieht. Obwohl wir mit dem Wetter «Glück» haben und es für anfangs Juni ungewöhnlich «kühl» ist, könnte ich mir ein solches Trekking ohne einen Schluck Wasser zwischendurch nicht vorstellen. Und ihm geht’s heute offensichtlich auch an die Substanz.
Oben bei den Petroglyphen machen wir eine Pause und bewundern das Panorama inklusive Grossem Chimgan. Mit einer Gipfelhöhe von 3’300 m ü. M. ist er der höchste Berg der Region. Von unserem Aussichtspunkt beobachten wir erneut eine Soldatengruppe, die von Beldersoy her Richtung Tschetkumbel-Pass aufsteigt. «Wollen die zu unserem Lagerplatz?», rätseln unsere zwei Begleiter und drängen zum Aufbruch.
Bis zum Lagerplatz auf dem etwas tiefer gelegenen Kumbel-Pass dauert es keine dreissig Minuten. Hier direkt unterhalb der Nordflanken des Grossen Chimgan fliesst ein kleines Bächlein durch die karge Steinlandschaft. Dieser Rastplatz entspricht eher dem Bild, das ich im Vorfeld im Kopf hatte und insgeheim vermisse ich den idyllischen Lagerplatz der letzten beiden Tage. Die Soldaten treffen ebenfalls ein, aber deren Tagesziel liegt noch weit entfernt – so weit, dass unser Bergführer meint «das schaffen die nie, die haben im Tal unten die falsche Abzweigung genommen». Wir kümmern uns derweil gemeinsam mit dem Älteren der beiden Eselführer um eine angenehm weiche Zeltunterlage. Die Idee hierfür in grosszügigen Mengen Riesenfenchel zu pflücken, scheint auf den ersten Blick genial; die harten, spitzigen Steine sind nun mit einer weichen Pflanzenschicht überdeckt. Was wir zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht wissen, dass der Saft des Riesenfenchels in Kombination mit Sonnenstrahlen Brandblasen auf der Haut bildet. Ein Souvenir, dass ich von Usbekistan mit nach Hause genommen habe, sind somit Brandnarben an meinen Armen – nicht wirklich hübsch, aber auch nicht weiter tragisch (und immerhin habe ich etwas über die Tücken des Riesenfenchels gelernt).
Kurz vor Sonnenuntergang steigen wir nochmals zum Tschetkumbel-Pass auf und bewundern den wunderbaren Sonnenuntergang. Was für eine schöne Stimmung!
Tag 5: Aufstieg zum Grossen Chimgan
Tag 5 begrüsst uns mit strahlendem Sonnenschein und für einmal mit einem wolkenlosen Himmel. Perfektes Wetter für einen Aufstieg zum Grossen Chimgan. Unser Bergführer weist vorsorglich darauf hin, dass er nicht weiss, ob wir es bis zum Gipfel schaffen, da sich die Schneefelder in diesem Jahr hartnäckig halten. Ulugbek bleibt im Lager zurück und wir steigen zu dritt zum Takhta Pass auf, wo uns ein phänomenales Panorama quer übers Tianshangebirge erwartet. Von dort steigt der Pfad steil bergwärts und wir kommen dem Gipfel immer näher. Doch rund 200 Höhenmeter unterhalb der Gipfelspitze müssen wir unser Unterfangen abbrechen. Einige kleinere Schneefelder haben wir bereits erfolgreich durchquert. Doch hier liegt noch so viel Schnee rum, dass es gefährlich werden könnte. Wir nutzen die Pause, um die Flora und Fauna hier oben zu bewundern und staunen, was in dieser unwirklichen Lage alles gedeiht. Witzigerweise fliegen Unmengen an Marienkäfer herum – etwas, dass ich bei uns in diesen Höhenlagen noch nie gesichtet habe.
Später steigen wir zurück zu unserem Zeltplatz, wo wir die letzte Nacht im Chimgan-Gebirge verbringen. Am nächsten Morgen geht’s zu Fuss nach Beldersoy und von dort mit dem Auto zurück nach Tashkent. Die fünf Trekkingtage werden wir nicht nur wegen der Brandnarben lange in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der wirklich überraschend vielfältigen Landschaft. Das Chimgan-Gebirge ist nicht «unberührt» – bei unserem Trekking kreuzten wir zahlreichen Hirtennomaden, die hier oben die Sommermonate verbringen. Aber genau dies macht der Charme dieses Trekkings aus.
Praktische Tipps für dein Trekking in Usbekistan
- Die beste Saison für ein Trekking in Usbekistan sind die Monate Mai und September. Von Mitte Juni bis August kann es sehr heiss werden. Wir waren anfangs Juni unterwegs und hatten insofern Glück, als dass es gemäss Aussagen unserer Guides ein ungewöhnlich kühler Frühsommer war.
- Auf www.openstreetmap.org findet ihr die Hauptwege eingezeichnet. Tipps zur Tageswanderung zu den Petroglyphen sind zudem im neusten Usbekistan Reiseführer von Dumont gut aufbereitet. Es ist grundsätzlich möglich, sich individuell im Chimgan-Gebiet zu bewegen, wobei ich dies nur bei entsprechenden Russisch-Kenntnissen empfehlen würde.
- Packt wie bei Hüttentouren in den Alpen genügend Schichten ein. Während es am Tag sehr heiss werden kann, kühlt es am Abend rasch wieder ab. Ich war froh um meine Daunenjacke.
- Für das Mieten von Schlafsack und Isomatte haben wir 8 Dollar pro Tag und Person bezahlt. Der Rest der Trekkingausrüstung (Zelt etc.) war im Buchungspreis inklusive. Die Preise für solche 5-Tages-Trekkings bewegen sich in einem Bereich von rund 300 Dollar pro Person.
- Nehmt eine Stirnlampe und genügend Lesestoff mit – wir waren jeweils gut einen halben Tag zu Fuss unterwegs und verbrachten die restliche Zeit lesend im Zeltlager.
- Wir hatten auf unserem Trekking Vollpension inklusive; Frühstück und Abendessen gab es jeweils in den Camps und fürs Mittagessen nahm unser Bergführer Unmengen an Proviant mit. Wir versuchten ihm zwar am ersten Tag zu erklären, dass wir während der Wanderung keine grosse Picknickpausen benötigen, aber das wollte er irgendwie nicht verstehen.
- Unsere Begleitcrew baute auf beiden Zeltplätzen ein WC-Zelt auf, was ich echt toll fand. Ohne WC-Zelt empfinde ich den täglichen Gang auf die Toilette gerade in so kargen Umgebungen wir auf dem Kumbel-Pass als sehr unangenehm und auch für die Umwelt ist so ein Loch im Boden, dass am Schluss mit Erde überdeckt wird, besser.
- Die Crew freut sich am Ende der Tour über ein kleines Dankeschön in Form von sinnvollen Mitbringsel aus der Schweiz (z.B ein Taschenmesser oder ein Micropur) oder über Trinkgeld (vorzugsweise in Dollar, da die Usbeken ihrer eigenen Währung – der Sum – nicht wirklich trauen).
Hinweis: Unsere Reise durch Usbekistan wurde vom Schweizer Trekkingspezialisten Globotrek unterstützt.