Mitte Januar poppte in meiner Inbox eine spannende Mail von Brigitte auf. Seit 2015 wohnt die Schweizerin mit ihrem georgischen Mann Wacho in Tiflis. Gemeinsam sind sie im Aufbau eines kleinen, feinen Reiseunternehmens, mit dem Ziel, die faszinierenden Landschaften des Kaukasuslandes den Schweizerinnen und Schweizer zugänglich zu machen. Zwischen den Zeilen die Frage, ob ich eventuell Lust an einem gemeinsamen Projekt hätte. Damit hatte mich Brigitte auf dem richtigen Fuss erwischt. Innert weniger Tage war entschieden, dass wir uns über die Ostertage (eines der wenigen Zeitfenster, die fürs erste Halbjahr 2017 überhaupt noch «frei» waren) ihrer «Freundesreise» anschliessen werden. Eine Reise, organisiert für Brigittes Freunde aus der Schweiz und Deutschland und vor Ort begleitet durch Brigitte und ihren Mann Wacho. Als Auftakt standen zwei volle Tage Tiflis auf dem Programm. Genug Zeit, um in die facettenreiche georgische Hauptstadt einzutauchen.
Gereist
Aus der Schweiz gibt es bis dato keine Direktflüge nach Tiflis. Die schnellsten Flugverbindungen bieten Turkish Airlines, Ukraine International Airlines, Polish Airlines und je nach Reisetag Lufthansa. Wir entschieden uns für die Turkish Airlines, die mit der schnellsten Reisezeit, guten Flugzeiten und einem tiefen Preis punktete. Sorge bereitete mir einzig, dass die Umsteigezeit in Atatürk mit jeweils einer Stunde knapp bemessen ist. Mit wenig Vertrauen in das Gepäckhandling verzichteten wir bei dieser Reise bewusst auf eingechecktes Gepäck und reisten nur mit Handgepäck. Die Sorge war in diesem Fall unbegründet – ein weiterer Teilnehmer der Freundesreise war auf dem gleichen Hinflug und sein Gepäck machte die Reise tadellos mit. Kurz nach unserer Buchung nahm die Turkish Airlines Flugplanänderungen vor, was uns auf dem Rückweg die Umsteigezeit von 2.5 Stunden auf 50 Minuten kürzte. Am Telefon versicherte man mir, das sei kein Problem. Nun ja… Wer schon mal Morgen ums 6:00 Uhr in Atatürk gelandet ist und durch den Transfer musste weiss, was für ein Chaos die gleichzeitig hereinkommenden Flüge aus dem asiatischen Raum mit Transferpassagieren nach Europa verursachen. Schlussendlich schafften wir es mit Ellbogeneinsatz und einem Spurt auf den «very last Call» ans richtige Gate (selbstverständlich im hinterletzten Flughafenecken gelegen). Insofern hat alles geklappt, aber es ginge durchaus auch entspannter.
Getan – Sehenswürdigkeiten
Hoch hinauf gondeln |
Tiflis ist reich an Geschichten und das Stadtbild dementsprechend geprägt von den Einflüssen ihrer verschiedenen Herrscher. Sie war Teil des Römischen Reiches, danach herrschten Araber, Perser, Türken und ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetunion stand Russland im Führerstand. Hoch über der Altstadt von Tiflis thront eine dieser Machtzeugen vergangener Tage. Die Festung Narikala wurde von den Persern erbaut. Wir bewundern das Multikulti-Stadtbild zuerst von der Plattform vor der im 13. Jahrhundert erbauten Metechi-Kirche am Steilufer hoch über der Kura und gondeln im Anschluss bequem zur Festung hoch. Die Seilbahnfahrt bietet einen Vogelblick auf den abrupt gestoppten Bauboom des letzten Präsidenten Micheil Saakaschwili, der mit futuristischen Prachtbauten seinem Land «ein neues Gesicht» geben wollte. Der Kontrast wirkt irritierend und faszinierend zugleich. «Was versteckt sich in diesen Röhren?», fragt sich wohl jeder Besucher. Die ernüchternde Antwort: die stehen leer. Zwei weitere Sehenswürdigkeiten auf dem Narikala Hügel sind der botanische Garten am Fusse Festung (der grösste seiner Art im südlichen Kaukasus) und «Kartlis Deda», die monumentale Statue der «Mutter» Georgiens mit Schwert und Weinschale.
Die Altstadt von Tiflis erkunden |
Von Narikala führt eine schmale Treppe direkt in den Altstadtkern hinab. Wir lassen uns hier von Gasse zu Gasse treiben. Ein Teil ist renoviert und schön hergerichtet («kitschig» gemäss Wacho – und da hat er nicht unrecht). Im Kontrast stehen diejenigen Viertel, wo windschiefe Häuser langsam vor sich hin bröckeln und ganze Fassadenfronten gestützt werden, damit sie nicht zusammenfallen. Die desolate Bausubstanz ist in vielen Teilen auf schlimme Erdbeben der vergangenen Jahre (u.a. im April 2002) zurückzuführen. Doch auch hier sind die zierlichen Balkone und Erker sowie die bunten Anstriche erkennbar und lassen erahnen, was für eine Schönheit Tiflis einmal gewesen war.
Zwischen Zionskirche, Synagoge und Dschwarimma-Kirche überrascht Tiflis mit Kuriositäten wie der schiefe Turm des Marionettentheaters und versteckten Bijous wie die Karawanserei. Wem beim Flanieren den Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase steigt, sollte nicht zögern, Kellertreppen hinabzusteigen. In den Kellergewölben befinden sich die traditionellen Bäckereien mit vulkanartigem Ofen.
Durchs Bäderviertel schlendern |
Südlich angrenzend and «Old Tbilisi» – die Altstadt – befindet sich das Bäderviertel Abanotubani. Bei Bauarbeiten für eine Kirche wurden Überreste alter römischer Bäderanlagen entdeckt und ausgegraben. Im 13. Jahrhundert gab es im Viertel rund 65 verschiedene Schwefelbäder. Den leicht faulige Geruch des Schwefels erschnuppern sensible Nasen auch heute noch. Die Zahl der Bäder hat aber deutlich abgenommen. Heute sind noch knapp zehn Bäder in Betrieb. Das markanteste davon, das Orbeliani-Bad mit prunkvoller persischer Fassade, ist aufgrund Renovierungsarbeiten geschlossen. Für viele Georgier gehört ein Besuch im Schwefelbad zum Pflichtprogramm bei einem Tiflis-Besuch. Die Bäder haben in der Regel 24 Stunden geöffnet. Zum Bädererlebnis gehört eine Massage, wobei diese – Brigitte hat unsere Gruppe wortreich vorgewarnt – für uns Europäer durchaus etwas irritierend ablaufen kann. Ohne viele Worte wird intensiv und unzimperlich geschrubbt. Wer darauf vorbereitet ist, kann das Erlebnis geniessen – so zumindest die Rückmeldung unserer Reisegruppengspändli, die sich mutig für eine Massage entschieden. Was sich aber in jedem Fall lohnt, ist ein kurzer Spaziergang dem schmalen Flüsschen, das zwischen den Bäderanlagen durchfliesst, entlang bis zum Wasserfall am Ende der eingeschnittenen Schlucht (ca. 15 Minuten Gehzeit).
Einen Basar besuchen |
In der Nähe des Hauptbahnhofes von Tiflis befindet sich der Dezerter Bazaar. Er gehört zu den grössten Bauernmärkten der Stadt und der Besuch lohnt sich. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um die Tschurtschchela zu kosten. Das typisch georgische Konfekt aus Nüssen, die mit einer Traubensaft-Zucker-Mischung überzogen werden, wird auch in der Innenstadt überall an Ständen angeboten. Meinen Geschmack haben die Nussstangen nicht vollumfänglich getroffen.
Einen Abstecher nach Neu-Tiflis unternehmen |
Die Gegend rund um die Marjanishvili Metrostation in Fussdistanz zum Dezerter Bazaar trumpft mit prachtvollen Stadthäusern aus dem 19. Jahrhundert. «Neu-Tiflis» oder «Didube» war ursprünglich eine Kolonie von deutschen Einwanderern, die sich am Stadtrand von Tiflis ansiedelten. Heute ist der Stadtteil Türkisch/Arabisch geprägt. Als eines der neusten Stadtentwicklungsprojekte wurde einen Teil der David Agmashenebeli Avenue in eine lässige Fussgängerzone umgewandelt – eine Neuheit für Tiflis, wie Brigitte erklärt. Die Fussgängerzone beginnt in der Nähe der Trockenen Brücke, wo täglich ein Flohmarkt stattfindet und Trouvaillen (wie tolles Geschirr) zu finden sind.
Nach brutal schönen Gebäuden Ausschau halten |
Anstelle eines Schwefelbadbesuches nutzten wir die Zeit für einen Abstecher zu zwei herausragenden Beispielen des Brutalismus-Architekturstils. Eines dieser Prunkstücke ist das ehemalige Verwaltungsgebäude des Ministeriums für Strassenbau und ist heute der Hauptsitz der Bank of Georgia. Der Entwurf stammt von den Architekten George Tschachawa und Zurab Dschalagonia und der Bau wurde 1975 fertiggestellt. Ziel der Architekten war, möglichst wenig Grundfläche zu verbrauchen und das Bauwerk mit der Landschaft verschmelzen zu lassen.
Ein weiteres aussergewöhnliches Bauwerk ist der Palast der Zeremonien (heute in Privatbesitz), der 1984 als Kompromiss zur orthodoxen Kirche gebaut wurde. Hier konnte trotz Verbot von kirchlichen Zeremonien während der Sowjetzeit in prunkvollem Ambiente gefeiert werden.
Einen Blick in die Sameba-Kathedrale werfen |
Erst seit 2004 fertiggestellt ist die markante Zminda-Sameba-Kathedrale. Sie ist eine der grössten Sakralbauten in Transkaukasien.
Gegessen
Lecker essen ist in Tiflis kein Problem – von typisch georgischer über osteuropäische, russische, und mediterran Küche bis hin zum Berliner Hipster Kaffeeschuppen ist alles zu finden. Gutes Essen ist den Georgiern wichtiger als das Ambiente. So kann es durchaus sein, dass man bei schönstem Sonnenschein in einem fensterlosen Raum feinstes Essen aufgetischt bekommt. Als Kontrast dazu stehen die vielen hippen Beizen, die im fotogensten «Pinterest-Stil» eingerichtet sind und genauso in Kopenhagen, Stockholm, Berlin oder Zürich sein könnten. Dazu gehört unter anderem das Double B Coffee & Tea (Galaktion Tabidze St 9) – Pausenstopp für alle Flat White und Iced Espresso LiebhaberInnen.
Typisch georgische Kost wird unter anderem im Restaurant Gorgasali im Bäderviertel (eher touristisch) oder im Barbarestan in Neu-Tiflis aufgetischt. Im Barbarestan werden die Speisen toll angerichtet und die Portionen sind (für georgische Verhältnisse) eher klein – was ich geschätzt habe. Ausprobieren sollte man die Käsebrote (Chatschapuri), die Teigtaschen (Chinkali) und die feinen Nuss-Gemüse-Kugeln (Pkhali).
Wein hat in Georgien einen hohen Stellenwert und dementsprechend sind in Tiflis diverse Weinbars zu finden. Für einen Apéro-Stopp ist die g.Vino Weinbar in der Altstadt unsere Top-Empfehlung. Die Bedienung nimmt sich gerne Zeit, passende Tropfen georgischer Winzer rauszusuchen. Ebenfalls nett – auch für einen Schlummerdrink – ist die Amber Bar am Rande der erwähnten Fussgängerzone.
Unser Hingeh-Tipp für ein Nachtessen mit Wohnzimmerambiente ist das Culinarium. Das Menü wechselt regelmässig (wir erwischten einen asiatischen Abend).
Eine weitere kulinarische Entdeckung sind kandierte Kumquats. Ihr findet sie zum Beispiel auf dem Dezerter Bazaar – eine süss-bittere Zwischenverpflegung.
Geschlafen
Die Hotelauswahl von Tiflis kann mit jeder grösseren europäischen Stadt mithalten. Unsere Wahl fiel auf die Fabrika (Partnerlink) – eine ehemalige Fabrik, die zum Hostel umgenutzt wurde. Inzwischen hat sich die Fabrika als beliebter Quartiertreffpunkt etabliert (rundherum befinden sich Ateliers, Coworking Flächen und Cafés). Nebst Mehrbettzimmern gibt es Doppelzimmer und Apartments mit integriertem Bad. Die Distanz zum Rike-Park beträgt rund 2 Kilometer. Uns hat die Lage unweit der neuen Fussgängerzone und ausserhalb der Touristenhotspots der Altstadt überzeugt.
Praktische Tipps für deine Städtereise nach Tiflis
- Eine Taxifahrt vom Flughafen zur Innenstadt kostet rund 30 Lari (Touristen-/Hotelpreis)
- Eine Taxifahrt innerhalb von Tiflis kostet zwischen 5- und 10 Lari (je nach Verhandlungsgeschick)
- Für die Benützung der Metro und der Stadtbusse muss eine Metromani-Karte gelöst werden (erhältlich an den Metrostationen). Eine Fahrt kostet 50 Tetri (mehr Informationen dazu gibt es hier: Tbilisi Transport Company)
- Die Seilbahnfahrt hinauf zum Narikala Fort kostet 1 Lari (ebenfalls mit der Metromani-Karte).
- Das Stadtgebiet ist auch mittels Marschrutka (Minibussen) erschlossen. Die Fahrt kostet ebenfalls 50 Tetri und ist dem Fahrer beim Aussteigen zu bezahlen (am besten das Kleingeld exakt bereithalten).
- Lari sind in der Schweiz schwer zu erhalten. Wir haben das Geld direkt in Tiflis an den Bankomaten mittels EC-Karte (vor der Reise bei der Bank freischalten lassen!) abgehoben.
- Eine coole Übernachtungsalternative ist das Room Tiflis in der Nähe der Prachtsstrasse Rustaveli (die Champs-Élysées von Tiflis)
- Von Tiflis aus ist man schnell im Grünen. Ein beliebtes Naherholungsziel ist der Schildkrötensee oberhalb des Wohnviertels Wake
- Im Umfeld von Polizeiautos sollte nicht ohne Erlaubnis fotografiert werden – uns hat bei der Wedding Ceremony Hall ein Polizist deswegen angehalten (selbstverständlich haben wir nicht sein Auto fotografiert – aber er wollte auf Nummer sicher gehen).
Genau darum liebe ich Blogs – ich wäre nie auf die Idee gekommen, nach Tiflis zu reisen, da ich nicht einmal wusste, dass es überhaupt existiert! Nach Deinem wunderschönen Reisebericht ist es aber jetzt ganz oben auf meiner Wunschliste.
Liebe Grüsse
Ariana
Danke für den tollen Bericht und die schönen Bilder. Man möchte am liebsten gleich die Koffer packen. Für mich geht es im Sommer erst einmal nach Kirgisistan. Aber im Hinterkopf schmiede ich schon Reisepläne nach Georgien.
Ein sehr schöner Bericht mit tollen Fotos!!! Vielen Dank!!