Irgendwie witzig. Da reist Frau Travelita Wochenende für Wochenende in der Weltgeschichte herum und erzählt in ihrem Blog, wie sie auf Bergen rumkraxelt, kleine und grosse Städte quer durch Europa besucht und auch ännet dem grossen Teich auf Erkundungstour geht. Exakt 605 Blogbeiträge sind seit dem Sommer 2012 getippt worden. Doch in keinem dieser Blogbeiträge zeige ich euch «mein» Quartier. Züri West von Montag bis Freitag und dann nichts wie weg. Das kann’s irgendwie nicht sein, oder? Denn Fakt ist: in den vergangenen vier Jahren habe ich Zürich West gern bekommen. Mit «daheim» assoziiere ich nicht mehr automatisch das Bernbiet (obwohl das natürlich ausser Konkurrenz unterwegs ist), sondern fühle mich hier zwischen Limmat, Industriebauten und Hochhäusern ebenfalls zu Hause. Und als mir kürzlich das Sheraton Hotel Zürich in fünf Minuten Gehdistanz zu meinem Büro, wo ich täglich ein- und ausgehe, die Möglichkeit bot, auf ihrem Dach in eine neue Arbeitswoche zu starten, war endlich ein guter Grund da, euch «mein» Zürich West zu zeigen. Und falls Zürich West und ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Freunde geworden wären, dann wären wir es spätestens am Montag 21. November um 08:40 Uhr geworden. Was für ein grossartiger Ausblick!
Ein Stadtspaziergang durch Zürich West
Kein Zürcher Stadtquartier hat in den letzten Jahren einen derart grossen Wandel durchlebt wie das ehemalige Industriegebiet – äusserster Teil des Stadtkreises 5 – zwischen Escher-Wyss-Platz und Hardturm. Was in den letzten Jahren in Zürich West gebaut oder umgenutzt wurde, ist die stückweise Realisierung eines im Rahmen eines kooperativen Planungsprozesses erarbeiteten Entwicklungskonzepts. 1999 unterzeichneten die involvierten Partner eine gemeinsame Absichtserklärung mit 12 städtebaulichen Prinzipien. Seither wird der Stadtteil Stück für Stück umgekrempelt. Nicht alles, was in Zürich West in den vergangenen Jahren gebaut wurde, finde ich toll. Bemerkenswert ist aber, dass eine gute Balance zwischen entwickeln und bewahren gefunden wurde.
Mein Rundgang startet an einem dieser Orte, wo alt und neu gelungen kombiniert sind. Für mich ist das Puls 5 eines der Herzstücke von Zürich West. Die alte Giessereihalle, 1898 von der Maschinenfabrik Escher-Wyss gebaut, fasst nun Gastrobetriebe und Läden zusammen und bildet mit dem angrenzenden Turbinenplatz ein beliebter Mittagstreffpunkt der umliegenden Betriebe.
Nördlich vom Puls 5 steht eine dieser Bauten, die mich bei jedem Vorbeigehen irritiert. Das Architekturbüro E2A hatte beim Um- beziehungsweise Neubau der Escherterrassen keine leichte Aufgabe. Zum einen galt es, das Modellmagazin – ein industrieller Zeitzeuge – zu erhalten und die gewerblich künstlerische Nutzung (dort drin befindet sich die Probebühne vom Opernhaus) mit einem Wohnhochhaus zu kombinieren. Das Hochhaus erinnert mich an Miami und die seltsam zugemauerten Fenster des Modellmagazins lösen bereits beim Betrachten Platzangst aus. Nein, die Escherterrassen und ich werden keine Freunde.
Dafür mag ich das Gebäude vis-à-vis des Modellmagazins. An der Fassade steht «Zürich Paris» und im Erdgeschoss befindet sich ein Café, Restaurant, Buchladen in einem. Das Sphères ist kulinarischer und kultureller Treffpunkt und eines der wenigen Quartiercafés, die bereits um acht Uhr in der Früh öffnen. Direkt dahinter startet der Fischerweg, der der Limmat entlang Richtung Werdinsel führt.
Wir folgen dem Fischerweg und erreichen die Rückseite des Limmatwest Areals. Ein langer Blockbau, der mir mit seiner verschachtelten Bauweise gefällt. Vorbei am ehemaligen Wehrturm Hardturm erreichen wir die Bernoulli-Häuser. Die denkmalgeschützten Reihenhäuser hat Architekt Hans Bernoulli zwischen 1914 und 1929 entworfen. Spannend ist das Konzept der gemeinsam geteilten Erschliessungsseite und des privaten Vorgartens auf der gegenüberliegenden Seite.
Wer bei der Tramhaltestelle Bernoulli-Häuser die Hardturmstrasse quert, passiert die Genossenschaftssiedlung Kraftwerk 1. Diese setzte in den 1990er Jahren mit einem vielfältigen Wohnungsmix und dichter Bauweise neue Standards im Wohnungsbau. Zwischen Kraftwerk 1 und Pfingstweidstrasse tut sich aktuell einiges. Wir entdecken rohe Fassaden, eingerüstete Reiheneinfamilienhäuser im Bernoulli-Stil und frisch angestrichene Neubauten mit Hauseingängen, die an Hochsicherheitstrakte erinnern.
Zwischenzeitlich schien mir, dass die Bauarbeiten auf dem Areal der ehemaligen Toni Molkerei ewig andauern. Umso erstaunlicher, dass seit der Eröffnung der neuen Kunsthochschule im Toni-Areal auch schon wieder zwei Jahre vergangen sind. Das Gebäude komplettiert die Fassadenfront gegenüber dem Migros Engrosmarkt bestehend aus Hardturmpark, Sheraton Zürich und Toni-Areal. Die Studenten haben dem Gebiet auch das dringend benötigte «Leben» eingehaucht. Als Schlechtwetteralternative bietet sich das Museum für Gestaltung im Toni-Areal an.
Wir folgen dem Gleisbogenweg via Pfingstweidpark zum Bahnhof Hardbrücke. Das fünf bis zehn Meter breite rote Band erschliesst das Industriequartier für den Fuss- und Veloverkehr und ist ein beständiges Rückgrat des Entwicklungskonzepts. Entlang des Gleisbogenwegs sind Grün- und Erholungsräume angeordnet. Ich mag die Konzeptidee und die kleinen «Pocket Parks». Wer dem Gleisbogenweg folgt, sieht, dass Zürich West noch nicht fertig entwickelt ist, und entdeckt zwischen den Neubauten Brachen mit Zwischennutzungen. Fertig überbaut ist das Maag Village mit dem höchsten Gebäude der Stadt Zürich und Wohnbauten, die mich zum Teil an Kaninchenställe erinnern. Vor vier Jahren habe ich kurz mit dem Gedanken gespielt, in eine dieser Wohnungen zu ziehen. Zum Glück tat ich es nicht, sonst müsste ich auf meinem Arbeitsweg tagtäglich dem dort eingemieteten Steiner Flughafebeck widerstehen.
Wir spazieren unter der Hardbrücke durch und erreichen das Geroldareal mit dem markanten Freitag Container Tower (inklusive Freitag Store) und dem beliebten «Frau Gerolds Garten». Hier zwischen Bahnhof Hardbrücke und dem Aussersihler Viadukt konnte sich das Kleingewerbe halten. Ich hoffe, dass diese Nutzung auf dem Areal erhalten bleibt. Sie leistet nämlich einen wichtigen Beitrag zur Quartiervielfalt.
Die Umnutzung des stillgelegten Viadukts zu einer Shopping- und Gastroszene «im Viadukt» finde ich gelungen. Zugegebenermassen, bin ich dennoch selten in den Läden hier anzutreffen, obwohl der Mix kleiner Shops echt lässig ist. Der Freund meint, dass er sich hier locker mit einer neuen Garderobe eindecken könnte. Mein Favorit ist der Kitchener (das sind halt die Berner Wurzeln). Ebenfalls cool ist die Fusswegverbindung auf der oberen Etage. Quasi die Zürcher Version der High Line.
Diese führt uns mit Blick auf die Josefswiese entweder auf die andere Seite der Limmat oder ins Löwenbräu Areal. Der Entwurf vom Architekturbüro Gigon Guyer trifft meinen Geschmack. Nebst Wohn- und Büronutzung wurde ein Gebäudeteil zu einem Kunstzentrum mit Galerien, Verlagen, dem Migros Museum für Gegenwartskunst und der Kunsthalle Zürich umgenutzt.
Der Spaziergang durch Zürich West nimmt gut zwei bis drei Stunden in Anspruch. Ebenfalls interessant ist ein Abstecher ins Steinfels-Areal. Wo früher Kernseife produziert wurde, realisierte man zwischen 1993 und 1996 die erste gemischte Nutzungsfläche aus Wohnen, Arbeiten und Unterhaltung in Zürich West. Quasi die Initialzündung all der weiteren Entwicklungsschritte. Spannende Inputs für euren Spaziergang findet ihr auch unter Kulturmeile.ch.
Zürich West: Shopping Tipps rund um den Bahnhof Hardbrücke
Erste Adresse für einen Shoppingnachmittag sind die Viaduktbögen. Beim Spaziergang habe ich weitere tolle Adressen entdeckt. Erst seit Kurzem bezugsfertig ist der Neubau gegenüber vom Schiffbau. Dort hat im Erdgeschoss Helsinki Design einen Laden eröffnet. Das wird sich unter Liebhabern skandinavischer Designstücke bestimmt schnell herumsprechen. Gleich daneben eröffnet anfangs 2017 das «FOIFI», ein zerowaste Ladencafé.
Auf nachhaltige, lokal produzierte Alltagsbasics setzt Soeder. Bis Ende Jahr noch betreibt das kreative Kollektiv eine kleine Filiale an der Geroldstrasse. Ein zweites Ladenlokal befindet sich an der Ankerstrasse 124. Mir gefällt die Philosophie und die tolle Produktpalette. Gleich nebenan (an der Geroldstrasse 15) ist ein Laden, der mein Portmonnaie arg in Bedrängnis bringen könnte. Wenn ich meine Wohnung mal von A bis Z neu einrichte, werde ich Stammkundin bei Walter Vintage Möbel.
Zürich West: Restaurant Tipps zwischen Limmatplatz und Hardturmstrasse
Brunch Klassiker: Maison Blunt |
In Zürich West kann man nicht nur allerlei Architektur bestaunen und Designmöbel shoppen, sondern auch gut essen. Für die kulinarischen Tipps habe ich mir die Freiheit genommen, Zürich West bis zum Limmatplatz zu «vergrössern». Ich hoffe, der Kreis 5 verzeiht mir diese Frechheit. Mit einem guten Frühstücksplätzchen in Zürich West tu ich mir etwas schwer. Das Sphères ist toll, bietet aber keinen Brunch. Gemäss Harrys Ding soll der Brunch im Clouds, zuoberst im Prime Tower, echt gut sein. Mein Favorit ist das Blunts Hausfrühstück für 22 CHF im Maison Blunt.
Lässig alternativ: Les Halles |
Ein Zürich West Klassiker sind Moules Frites im Les Halles (Pfingstweidstrasse 6). Am Mittag nehme ich hier auch gerne das Tatar oder den Salat mit Ziegenkäse. Für den kleinen Hunger kann ich euch einen Abstecher ins Wurst & Moritz (Hardstrasse 318) empfehlen. Ein wöchentlicher Fixpunkt mit Arbeitskollegen (p.s. das Angebot umfasst vegane Currywürste).
Ein Stück Vietnam: Co Chin Chin |
Gleich neben dem Maison Blunt hat ein neues vietnamesisches Restaurant eröffnet. Im Co Chin Chin wird echt authentisch mit vielen direkt aus Vietnam importierten Zutaten gekocht. Das hat sich schnell herumgesprochen und das Restaurant erfreut sich bereits wenige Wochen nach der Eröffnung einer grossen Beliebtheit.
Gut Bürgerlich: Alpenrose |
Ende Juli 2016 ging im Restaurant Alpenrose auf Höhe Tramhaltestelle Quellenstrasse eine Ära zu Ende. Die beiden Beizerinnen Tine Giacobbo und Katharina Sinniger schlossen nach 22 Jahren den Betrieb. Seit Mitte Oktober ist das Lokal wieder geöffnet. Die Stiftung Arbeitskette hat den Betrieb übernommen und setzt auf traditionelle Schweizer-Küche. Was mir besonders gefällt ist, dass hier Jugendlichen und Erwachsenen mit psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit eines beruflichen (Wieder-) Einstiges geboten wird. Eine einfache, charmante Beiz mit einer echt guten Küche!
Kreativ: Stazione Paradiso |
Fürs Paradies hüpfen wir kurz über die Limmat, wo Köchin Margaretha Jüngling während der Wintermonate in einer Miniküche in einem stillgelegten Bahnwagen kreative, nordisch angehauchte Gerichte zaubert. Ich mag ihren Stil. Spannende Kombinationen ohne Schnickschnack. Im Stazione Paradiso ist es kuschelig eng, und ob man will oder nicht – man wird bestimmt von einem Tischnachbar in interessante Gespräche verwickelt. Das 4-Gang-Menü kostet 75 CHF.
Für Fleischtiger: Route Twenty-Six |
Wer Lust auf ein richtig gutes Stück Fleisch verspürt, der ist im Steakrestraunt Route Twenty-Six im Sheraton an der richtigen Adresse. Bis anfangs dieses Jahres wurde hier auf Schweizer Küche gesetzt. Den Konzeptwechsel finde ich gelungen und der Freund ist der Meinung, dass er hier seinen nächsten Männerabend verbringt. Als Alternative befindet sich wenige Meter weiter das Restaurant Naanu mit nepalesischer Küche (auch eine gute Option, wenn es über den Mittag mal schneller gehen sollte).
Und mein Ausflug durch Zürich West endet nicht in meinem eigenen Bett (obwohl sich das keine zehn Minuten entfernt befindet), sondern in der obersten Hoteletage vom Sheraton Zürich West, mit schönstem Blick auf eine Mischung aus verbindenden und trennenden Infrastrukturen, Gewerbebetrieben, verdichteten Genossenschaftsbauten und Hochhäusern mit Luxuswohnungen. Ein pulsierendes Stadtleben. Ja, ich mag Zürich West.
Dieser Ausflugstipp entspricht nicht ganz deinen Vorstellungen? Kein Problem! Im nachfolgend verlinkten Beitrag findest du weitere Anregungen, was du rund um Zürich alles unternehmen kannst: 9 tolle Ausflugsziele und Kurzwanderungen im Umkreis von Zürich
Hinweis: Das Sheraton Zürich hat mich mit der Rooftop Fotospot Idee kontaktiert und mich damit – es war eh höchste Zeit – motiviert, «meinem» Stadtteil endlich einen Blogbeitrag zu widmen. Danke dafür! Alle Meinungen / Eindrücke sind wie immer die unseren
Cool! Ja, mir gefällt das Quartier auch gut, bin ich hier doch seit über 10 Jahren mit verschiedenen Firmen verbandelt. Und einer Wohnung… In meinem Profil verlinke ich einen nächtlichen Foto-Walk durchs Quartier.
Ein toller Post! Wir vergessen doch immer wieder, dass so viel schönes auch direkt vor unserer Haustüre liegt.
… Ich glaube, ich muss einmal einen Beitrag über die Ostschweiz schreiben :D
Danke für deinen Kommentar Michelle :) Also die Schweiz kommt ja bei mir generell nicht zu kurz ;) aber so wirklich direkt vor der Haustüre, ist man halt üblicherweise zu fest im «Alltagstrott» um dem wirklich einen Beitrag zu widmen
Die Stadt Tsüri mal anders. Danke Anita, schön geschrieben, spannende Einblicke.
Super vielen Dank. Sehr inspirierend und super Bilder.
Ich werde am Wochenende nach Zürich fahren und habe bislang vorrangig «klassische» Sehenswürdigkeiten recherchiert. Nachdem ich die beeindruckenden Aufnahmen aus diesem Artikel gesehen habe, will ich unbedingt auch den Westteil der Stadt erkunden. Und wie ich sehen konnte, gibt es sogar eine eigene Free Walking Tour dorthin. Ich hoffe sehr, dass mir dafür die Zeit bleibt.
Nicht nur ich (Bewohnerin im Zölly), sondern viele Bewohnende im Umfeld – im «Dorf Zürich West» – sind überglücklich und froh, hier wohnen zu dürfen. Das Quartier bietet unglaublich viel. Die Nachbarschaft und die soziale Gemeinschaft funktioniert. Man trifft sich im Pfingstweidpark. Man feiert Geburtstage, es werden privat Filme im Heimkino gezeigt, Hauskonzerte, Aromaseminar oder gemeinsame Wahrnehmungsbetrachtung vom wachsenden Quartier.